Lawinengespür von Paula Schweers

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Lawinengespür Paula Schweers Rezension

Dieses Cover! Zusammen mit dem Titel eine unwiderstehliche Kombination, die ich unmöglich an mir vorbeigehen lassen kann. Nach dem Lesen weiß ich, auch der Inhalt von „Lawinengespür“ entwickelt eine ganz eigene Stimmung, die schwer in Worte zu fassen ist.

Nora wird später das Gefühl haben, ihrer Vergangenheit nie entkommen zu sein.

“Meine Herkunft saß in Zähnen, Knochen und Sprache fest, in dem Dialekt, den ich nie völlig loswurde.”

Leo hingegen verzweifelt an der Enge eines Spießerlebens und will gewaltsam ausbrechen, konsumiert und dealt mit Drogen.

“Manche seiner Kunden hatten bei ihm Crystal gekauft, um ein bürgerliches Leben mit Haus, Kindern und Vollzeitjob auszuhalten, das sie hassten, und zugleich Freiheit zu empfinden durch den Stoff, der sie an dieses Leben kettete, weil sie häusliche Sicherheit und Geld brauchten, um sich Crystal zu kaufen.”

Dann verschwindet Leo.

10 Jahre später, im Sommer 2019:

Nora, die Ich-Erzählerin lebt nicht mehr in der Provinz, sie lebt in Berlin und es ist ihr für ein “paar glückliche Jahre gelungen, das Chaos aus meinem Leben herauszuhalten.“ Sie steht kurz vor einem vielversprechenden akademischen Erfolg, der das Ende ihrer prekären Situation bedeuten könnte. 

Doch Nora schlittert in eine Krise. “Der Alltag zerfiel” 

Parallel in Moskau: 

Leo treibt als Kleinkrimineller haltlos durch eine verlorene, queerfeindliche Stimmung eines verwahrlosten Russlands.

“Die typische Mischung aus Resignation, Widerwillen und Verzweiflung” liegt in der Luft. Er ist immer auf der Suche nach Unterschlupf, nach Halt, nach einem Familienersatz. 

Erst später im Laufe des Romans wird mir der Zusammenhang zwischen dem Entgleiten der Kontrolle in Noras Leben, ihrer Angst Erfolg zu haben und den damaligen Umständen von Leos Verschwinden klar.

Die Geschwister, so unterschiedlich in ihrem Lebensweg, in ihrem Charakter und doch verbunden durch ihre Vergangenheit und ihr „Lawinengespür“.

“Ich wusste, dass ich Katastrophen voraussehen konnte, bevor sie eintraten. Das lag an dem Lawinengespür, das ich als Kind entwickelt hatte. Bevor Schnee und Schlamm einen Abhang am Großen Arber herunterstürzten, fühlte ich, dass etwas in der Luft lag.”

Schweers atmosphärischer und literarisch stark erzählter Debütroman braucht bei mir ein bißchen Zeit um zu wirken. Die Themen entfalten sich subtil, aber tiefenwirksam. Ich lesen den Roman, den ich besonders in den ersten und letzten Kapiteln fesselnd finde, sehr gerne. Über eine gewisse Repetitivität und Langamtigkeit im Mittelteil kann mir der ansprechende und bilderzeugende Sprachstil gut hinweghelfen.

Ich finde den Roman stimmungsvoll und vielschichtig, seine volle Wirkung entfaltet er erst auf den zweiten Blick und er lässt bei mir noch einen Rest Rätselhaftigkeit stehen, der mir hier sehr gut gefällt.

Lawinengespür Paula Schweers Klappentext

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