Der Roman „Leben einer Tänzerin“ von der, dem jüdischen Bürgertum zugehörigen, deutschen Schriftstellerin Ruth Landshoff-York sollte eigentlich 1933 beim Rowohlt Verlag erscheinen.
Er sollte nach „Die Vielen und der Eine“ der zweite veröffentlichte Roman der Autorin werden. Aber daraus sollte auf Grund der anbrechenden Nazi-Herrschaft mit ihren kulturellen Repressalien nichts werden.
Neben der jüdischen Herkunft von Landshoff-York passte das im „Leben einer Tänzerin“ geschilderte Frauenbild und das vermittelte Lebensgefühl nicht zur gewünschten Reinheit der deutschen Kulturlandschaft und zur Naziideologie.
Denn Lena Vogel, die Protagonistin des Romans, lebt ein äußerst unkonventionelles und freies Leben in den kosmopolitischen Städten Wien und Paris zur Zeit der Roaring Twenties.
Wechselnde (Liebes-) Partner, ein unstetes Partyleben ohne geregeltes Heim und Einkommen, motorisiert und vor allem unabhängig. So beschreibt Landshoff-York ihre Hauptfigur.
Der Erzählstil und der Inhalt geben mir einen interessanten Einblick in die Zeit und das Lebensgefühl der intellektuellen Avantgarde, zu der Landshoff-York zweifellos selbst ebenso gehörte wie ihre Figur Lena.
„Und wenn man sich beklagt, begreift sie nicht.“
“Und wenn sie groß dasteht und mächtig in ihrem Mißverstehen, muß man sie schlagen, damit sie klein wird.“
“Und wenn man sie schlägt, glaubt sie, man liebe sie sehr.“
“Nur dann glaubt sie, man liebe sie.“
“Und geliebt werden will sie.“
Eine moderne Frau
Wohin der unkonventionelle Lebensstill Lena noch hin führen wird, will ich hier natürlich nicht spoilern. Für Kenner*innen der Zeit und des Millieus wäre es allerdings ein Leichtes in der fiktiven Figur der Lena Vogel die reale Person der berühmten Tänzerin Lena Amsel zu erkennen, mit der Landshoff-York befreundet war.
Einen nicht geringen Teil der Ausgabe des Aviva Verlags nimmt das ausführliche Nachwort von Walter Fähnders ein. Was ich sehr begrüße!
Er gibt mir die notwendige geschichtliche Einordnung und detailierte Informationen. Sowohl über Ruth Landshoff-York und die Veröffentlichungsgeschichte des vorliegenden Romans, als auch über das Leben von Lena Amsel.
Sehr interessant finde ich, was er über das ambivalente Verhältnis der beiden Frauen schreibt, und was der Roman so eigentlich nicht vermuten lässt.
Ich sehe das Bändlein von „Leben einer Tänzerin“ mit dem wunderschönen Cover mehr als kleinen historischen Ausflug. Mit einer sachlicher Untermauerung im Nachwort anstatt als unterhaltsame Schmöker-Lektüre. Landshoff-Yorks Stil ist für mich zu ungewohnt und zu weit weg um mich mit ihrer Lena emotional verbinden zu können. Ich kann mich nur zu ihren zahlreichen männlichen Bewunderern und Verehrern gesellen. Ich schließe mich der Perspektive von außen an. Was in Lenas Inneren vor sich geht, bleibt mir verborgen.
Ein ganz großes Dankeschön an Britta Jürgs vom Aviva Verlag, die mir auf der Frankfurter Buchmesse 2023 diesen besonderen Roman so nett empfohlen und als Rezensionsexemplar überlassen hat!
Schreibe einen Kommentar