Das wird wieder eine dieser schwierigen Rezensionen, bei denen ich versuchen will, das Werk an sich zu würdigen, da ich definitiv seine schriftstellerischen Absichten und Qualität erkenne, mir „Sehr geehrte Frau Ministerin“ aber trotzdem nicht besonders gut gefallen hat.
Vielleicht fange ich damit an, dass die Kurzbeschreibung bei mir eine ziemlich falsche Erwartung geweckt hatte. Es hieß, der neue Roman der renommierten Buchpreisträgerin sei „ein radikal gegenwärtiger Roman über die abgründige Beziehung zwischen Söhnen und ihren Mütter“. Doch gerade über diese Beziehung, es ist auch die Rede von „symbiotischer Mutterschaft“, finde ich erstaunlich wenig auf den 360 Seiten.
Für mich war es vielmehr ein Roman über verschiedene Facetten von Frauenleben, die von patriarchalen Strukturen geprägt sind. Krechel hat dafür drei Protagonistinnen geschaffen, deren Leben und Existenz sie kunstfertig und sehr raffiniert mit einander verknüpft. Und so ist der Roman auch in drei Teile untergliedert.
„Sehr geehrte Frau Ministerin“ beginnt mit einer detaillierten Beschreibung des Alltags von Eva Patarak, einer älteren Frau, die mit ihrem erwachsenen Sohn zusammenlebt und in einem kleinen Laden für Heilkräuter arbeitet. Zwischen den Beschreibungen von Evas Leben und Gedanken geht Krechel zurück ins antike Rom und streut biografischen Schilderungen aus dem Leben von Neros Mutter Agrippina ein.
Der zweite Teil, der in weiten Teilen die großen Probleme von Silke Aschauer mit ihrer Menstruation beschreibt, hat mir noch am meisten zugesagt. Silke, eine kinderlose Lateinlehrerin, ist für mich der Dreh-und Angelpunkt des Roman. Sie ist gewissermaßen das verbindende Element zwischen den drei Frauen, wenn nicht gar der Ausgangspunkt.
Die titelgebende Frau Ministerin nur eine Nebenfigur?
Erst im dritten Teil erfahre ich ein bißchen mehr über die titelgebende Ministerin und erst auf den letzten Seiten nimmt die Handlung ein wenig Fahrt auf. Der Satz der ärgerlicherweise schon auf dem Klappentext gespoilert wird (“Frau Ministerin, ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Sohn.”), fällt auch erst ganz zum Schluss.
Ja, ich erkenne natürlich, dass Krechel die absolut aktuelle und relevante Frage stellt, wer in unserer Gesellschaft Gewalt ausübt und gegen wen diese gerichtet ist und die indirekt daraus folgende Bedrohung von Politiker*innen zeigt.
Mir persönlich sind die ganzen Fäden zwischen den Protagonistinnen und die Querverweisen zu Agrippina viel zu wenig verknüpft, als dass ich intuitiv folgen könnte.
Ich möchte betonen, dass Krechel schriftstellerisch und stilistisch den Roman komplett beherrscht. Mir gefallen die unangekündigten und überraschenden Perspektivenwechsel von Eva und ihrem Sohn, manchmal sogar mitten im Satz. Auch die Andeutung einer Metaebene, in der Eva nur eine erschriebene Figur in Silkes Kopf ist, hat mir gut gefallen.
Ansonsten blieb ich jedoch außen vor. Ich erkannte nur Ansätze Krechels mutmaßlichem Thema, das ich nur bruchstückhaft in der Ausarbeitung wiederfand. So war für mich der Roman bis auf die paar letzten Seiten schon recht schwergängig und einer, für den du schon viel Lust auf Literatur mitbringen solltest.
Ich denke das Feuilleton und geneigte Leser*innen werden den Roman zu deuten wissen. Für mein stumpfes und nach leichter zu konsumierenden Leseerfahrungen gierendes Empfinden war das leider eine trockene, verkopfte und unbefriedigende Lektüre, die meine Erwartungen, die der Klappentext geweckt hatte, nicht erfüllt hat.
Vielen lieben Dank an den Klett Cotta Verlag für das Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Ursula Krechel für ihren Roman!
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