Den neuen Roman „Steglitz“ von Inès Bayard wollte ich unbedingt lesen. Ihr erster Roman „Scham“ traf bei mir äußerst intensiv und nachhallend ins Schwarze.
Das ist bei „Steglitz“ nicht der Fall. Ich merke, dass bereits zwei Tage nach der Lektüre nicht viel hängen geblieben ist, obwohl der Roman sehr viele Widerhaken setzt.
Leni lebt mit ihrem Mann Ivan Müller im beschaulichen Stadtteil Berlin Steglitz. Ihre Tage sind monoton und gleichförmig und sind mit kleineren Haushaltstätigkeiten und Besorgungen gefüllt. Die devote Haltung Lenis ihrem Mann gegenüber und das komplette Fehlen eigener Interessen erinnert mich sehr an „Die schmutzige Frau“ von Annette Pehnt.
Nach dem Besuch eines Polizeikommissars, der Leni zu Schüssen in der Nachbarschaft befragt, und der Ankündigung ihres Mannes, dass er die Stadt beruflich für ein paar Tage verlassen muss, gerät ihr Leben völlig außer Kontrolle.
Sie verliert den Bezug zur Realität und verlässt die gemeinsame Wohnung…
Aber welche Realität?
Wem kannst Du trauen?
Bayard kreiert eine Stimmung der Surrealität, in der weder ich als Leser*in noch Leni unseren subjektiven Wahrnehmungen trauen können.
Die teils absurden Dialoge verstärken diesen Eindruck. Ein Fall von doppeltem gaslighting?
“Es ist, als würde sich die Wirklichkeit verformen, je weiter meine Gedanken wandern. Alles erscheint mir vertraut, ich erkenne die Gesichter und Worte wieder, aber es kommt immer ein Punkt, an dem ich nicht mehr unterscheiden kann zwischen dem, was ich sehe, was ich zu sehen hoffe, und dem, was tatsächlich geschieht.”
Den unvorhersehbaren Windungen der Geschichte bin ich neugierig gefolgt, in der Hoffnung auf einen Blick hinter die geheimnisvolle Oberfläche und in die Vergangenheit und das Trauma von Lenis Figur. Ich finde den Roman der französischen Autorin, die mittlerweile selbst in Berlin lebt, tendenziell (zu) sehr rätselhaft und er bleibt damit für mich aussagelos und zu wenig greifbar.
Die ganze Atmosphäre des Romans und diese narrative Unzuverlässigkeit finde ich durchaus faszinierend. Ich fürchte aber, mein Gehirn bevorzugt dann doch plakativeres Story Telling.
„Steglitz“ spielt zweifellos in der höheren literarischen Liga, zu der mir der Aufstieg aus der Provinzliga aber nicht gelungen ist.
Super fresh erschienen beim Zsolnay Verlag (Hanser Literatur).
Aus dem Französischen von Theresa Benkert.
Schreibe einen Kommentar