Ich las in kurzer Abfolge drei Romane mit ähnlichem Thema. „Wer hat Bambi getötet“, „True Story“ und „Prima facie“ behandeln alle drei sexuelle Gewalt und die daraus folgenden Konsequenzen für alle Beteiligte.
Ich vergleiche ungern Romane miteinander, da jeder einzigartig und berechtigt in seinem Stil ist, aber dennoch sticht „Wer hat Bambi getötet“ aus dieser Reihe durch seine besondere literarische Qualität und seinen Nihilismus deutlich heraus.
Kern- und Ausgangspunkt des Romans ist die furchtbare und qualvolle Vergewaltigung des Mädchens Sascha durch vier Teenager auf einer Party im reichen und elitären Villenviertel von Helsinki.
Fagerholm wählt interessanterweise die Erzählperspektive von Gusten, einem der vier Täter, den die Tat schwer belastend und der sie schließlich bei der Polizei anzeigt. Interessant deshalb, weil sie tief in die Psyche von Gusten eindringt, in das Milieu in dem er aufgewachsen ist und ihn als verlorene und gebrochene Seele zeigt.
Frühlings Erwachen in Helsinki
Auf dem Klappentext wird Fagerholms Buch mit Wedekinds „Frühlings Erwachen“ verglichen und tatsächlich entdecke auch ich einige Parallelen (soweit ich mich zumindest an diese lange zurückliegende Schullektüre erinnere).
Denn die Elternhäuser dieser reichen und elitären Jugendlichen sind genauso kaputt, scheinheilig und verlogen wie die Erwachsenenwelt in „Frühlings Erwachen“. Alles dreht sich um den schönen Schein, das Geld und eigene Befriedigung anstatt um Liebe, Verantwortung und Fürsorge.
Lagerholm zeigt deutlich, dass die Menschen, allen voran die Jungen und Verleztlichen in diesem gefühlsarmen Klima keine Akteure, sondern nur Statisten sein können. Wer sich nicht einfach nimmt, was er will, bleibt ein Verlierer. Die Gewinner sind meist die Männer, hier zeigt Fagerholm mit dem Finger auf misogyne und reaktionäre Gesellschaftsstrukturen, die in diesem reichen Villenviertel wie konserviert überdauern.
Unschuld kann hier nicht überleben. Wer Opfer wird, kann nicht mit Gnade rechnen.
Wer schwach ist hat keine Freund*innen mehr, steht am Rand. Die Profanität des Geldes beschmutzt jedes Zusammenleben.
Und am Ende ist jeder einsam und allein.
Ein harter und lesenswerter Roman mit Sätze, der mir sehr gut gefallen hat und nicht zwangsläufig in Helsinki spielen muss. Jedes andere reiche Villenviertel eignet sich genauso als Setting für Fagerholms aktuelle Gesellschaftskritik.
Literarisch auf hohem Niveau und stilistisch besonders und nicht als Wohlfühllektüre geeignet, sondern als nihilistische Mahnung für unser Zusammenleben!
Danke an den Residenz Verlag, bei dem ich bei einer Adventsverlosung diesen gewünschten Roman gewinnen konnte!
Erschienen 2022 und Antje Rávik Strubel, die ebenfalls Schriftstellerin ist, wurde mit der Übersetzung für den Preis der Leipziger Buchmesse 2023 nominiert.
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