Von der Schweizer Schriftstellerin und Dramatikerin Martina Clavadetscher habe ich noch nichts gelesen, soweit ich weiß. Das Cover von „Die Schrecken der anderen“ hat jetzt genau mein literarisches Beuteschema bedient, deshalb ist es auf meiner Leseliste gelandet.
Auch die Kurzbeschreibung verspricht die richtigen Zutaten für einen spannenden Roman. Beim Schlittschuhfahren über einen zugefrorenen See entdeckt ein Junge eine ins Eis eingefrorene Leiche.
Nicht nur die Polizei nimmt Ermittlungen auf, sondern auch Schibig, ein kauziger und einsamer Archivar, und eine Alte, die in einem Wohnwagen wohnt, schließen sich als Team zusammen, um mehr über den Toten herauszufinden.
Aber auf keinen Fall würde ich den Roman auch nur ansatzweise in die Nähe eines Kriminalromans rücken, obwohl es einen Toten und Ermittlungen gibt. Martina Clavadetschers Roman ist schwer einzuordnen, weil er so besonders und einzigartig ist.
Der Erzählstrang rund um Schibig und die Alte ist nur ein Erzählstrang der verwickelten Geschichte, in der alles irgendwie miteinander zusammenhängt. Ein weiterer Strang erzählt von Kern und seiner Frau Hannah, die versuchen einen Stammhalter zu zeugen, um Kerns 100-jährige Mutter zufrieden zu stellen. Um endlich die Erblinie fortzusetzen, greifen alle Beteiligten zu unkonventionellen Mitteln.
Wo lauern „Die Schrecken der anderen“?
Kern ahnt woher der Tote im Eis kommt. Er ist ein Relikt aus der Vergangenheit, das an die Oberfläche gespült wurde. Überhaupt ist verdrängte Vergangenheit ein Thema, das sich durch Clavadetschers ganzen Roman zieht. Rechtes Gedankengut, das überall schlummert, das in Menschen, Familien und Gruppierungen überlebt hat und jetzt wieder an Stärke gewinnt.
Das einfach nicht totzukriegen ist. Genauso wie die 100-jährige Mutter von Kern.
Mit ihrem Willen aus Stahl und ihrem ideologischen Glauben hält sie immer noch viele Fäden in der Hand und bestimmt über das Leben ihres Sohnes.
Der ist zu duldsam um sich aufzulehnen und fügt sich den dynastischen Wünschen der Mutter. Aber auch ihm dämmert langsam, dass er den falschen Weg beschreitet.
Clavadetscher fesselt mich komplett mit der Atmosphäre ihres Romans, die ist staubig und riecht irgendwie verdorben und düster, aber wer klassisch die Auflösung der verschiedenen Erzählstränge erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht.
Gegen Ende des Romans steuert Clavedetscher ihre Figuren auf ein virtuoses und spektakuläres Finale hin, das dem Romantitel wahrlich alle Ehre macht.
Ich finde in „Die Schrecken der anderen“ starke und aktuelle Gesellschaftskritik, verpackt in eine spannende und atmosphärische Geschichten. Mich hat der Roman wirklich sehr gut unterhalten, aber ich kann mir gut vorstellen, dass seine spezielle Art vielleicht nicht unbedingt den Massengeschmack bedient.
Wenn du für den Herbst und die dunkle Jahreszeit noch eine aufregende und etwas düstere Lektüre suchst, ist „Die Schecken der anderen“ vielleicht genau das Richtige für dich.
Das Hörbuch, perfekt und stimmungsvoll gesprochen von Schauspielerin und Sprecherin Michaela Winterstein, fand ich sehr empfehlenswert!
Vielen lieben Dank an C.H.Beck Literatur und NetGalley für das Bereitstellen des digitalen Hörexemplars. Danke und viel Erfolg an Martina Clavadetscher für den Roman!


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