Susanna Hast ist finnische Autorin, Künstlerin und Songwriterin. Bei Edition Nautilus ist jetzt ihr Debütroman „Beweiskörper“ auf Deutsch erschienen, der 2022 mit dem Helsingin-Sanomat-Literaturpreis ausgezeichnet wurde.
Darin geht die Erzählerin auf eine Spurensuche in ihre Vergangenheit. Sie wurde als Mädchen und Jugendliche sexuell missbraucht, hat die Erinnerungen daran aber verdrängt. Sie hatte damals niemand davon erzählt, die Täter wurden niemals strafrechtlich verfolgt. Die Übergriffe hatte für niemanden Konsequenzen, außer für die Erzählerin. Ihr Körper ist der einzige Beweiskörper, der davon zeugen kann.
In „Beweiskörper“ versucht Hast in der Rolle einer Ermittlerin und Detektivin, diesen Ereignissen näher zu kommen und Worte für das Nicht-Greifbare zu finden.
„Mir ist seit jeher klar, dass ich über das Erlebte nicht direkt schreiben kann. Die Wahrheit muss zwischen den Wörtern hervorsickern. Worte reichen nie aus.“
Hasts Buch ist die intensive und sehr tiefgehende Auseinandersetzung mit den traumatischen Gewalterfahrungen der Erzählerin und mit sexueller Gewalt, Erinnerung und Scham im Allgemeinen.
“Gewalt scheint fast alltäglich zu sein, das Archiv ist riesig, unendlich. Wie kann es sein, dass über sexuelle Gewalt gleichzeitig so intensiv geschwiegen wird?”
Ein wichtiger Punkt in Hasts Spurensuche dreht sich darum, wie sexuelle Gewalt in unserer Gesellschaft tabuisiert und verharmlost wird. Opfern wird nicht geglaubt, es wird ihnen eine Mitschuld zugeschrieben, und ihr Schmerz wird relativiert. Damit die die Täter, die meistens Teil der Gesellschaft sind und mitten unter uns leben, weiterhin integriert bleiben können.
“Und obwohl ich davon rede, dass ich es nicht wollte und mich passiv verhalten habe, bin ich trotzdem nicht ausreichend unschuldig, denn das Nicht-Wollen müsste total sein, der Widerstand sicht- und hörbar, aber zusätzlich wird man die Forderung der Unschuld nie ganz befriedigend erfüllen können.”
Ebenfalls nehmen Hasts Gedanken über die Funktionsweise von Erinnerung, Verdrängung und Vergessen viel Raum ein. Auch hier bleibt sie nicht nur bei den individuellen Erfahrungen ihrer Erzählerin, sondern bezieht Forschungsergebnisse und Studien mit ein.
Wenn die Erinnerung unzuverlässig ist, bleibt nur der Beweiskörper
Und auch wenn auf dem Cover „Roman“ steht, ist der Hasts Text stark autofiktional. In der Kurzbeschreibung steht: „Susanna Hasts bewegender Text ist ein feministischer Genrehybrid zwischen Roman, Memoir und Essay.“
Mich erinnert mich „Beweisköper“ in dieser Mischung sehr an Maggie Nelsons „Die roten Stellen“, in dem sie den Mord an ihrer Tante aufarbeitet. Und tatsächlich referenziert Hast unter anderem die Arbeiten von Nelson, aber auch Serien und andere popkulturelle Quellen finden Eingang in ihren Roman.
Mich hat „Beweiskörper“ thematisch sehr angesprochen und schloß sich der Hasts Text genau an die Lektüre von Neige Sinno „Trauriger Tiger“ an. Ich habe den sehr reflexionsstarken Text von Hast super gerne gelesen. Ich würde ihn aber nur weiterempfehlen, wenn du speziell an dem Thema interessiert bist und/oder bereits bist für teils sehr tief gehende psychische Explorationen.
„Mein Körper gehört mir. Und, das Wichtigste, ich bin nicht zum Leiden verurteilt. Ich entscheide selbst, wer ich bin.“
Ein großes Dankeschön an den unabhängig Edition Nautilus Verlag für das gewünschte Rezensionsexemplar.
Danke und viel Erfolg an Susanna Hast für die deutsche Übersetzung ihres Romans!
Aus dem Finnischen von Tanja Küddelsmann.
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