Alta, was geht mit diesen kaputten Typen in „Brennende Himmel“ ab?
Gleich auf der ersten Seite des Romans steht eine deutliche Triggerwarnung. Und auch in der Presseinformation wurde noch einmal explizit auf mögliche traumatisierende oder retraumatisiernde Inhalte hingewiesen.
Und auch ich finde manche Szenen des Romans wirklich ausgesprochen hart und brutal. Dazu trägt das plastische Schreibtalent Insolias bei, der mich direkt mit in diesen Strudel aus Selbsthass und Gewalt seiner Geschichte reißt.
„Brennende Himmel“ ist auf zweit Zeitebenen angelegt:
Im Jahr 2000 spürt die siebzehnjährige Teresa zum ersten Mal ihre Lust auf körperliche Erfahrungen. Sie ist gerade mit ihren strengen Eltern am Meer in Sizilien in den Ferien und hat einen jungen Mann besonders ins Auge gefasst: den strahlend schönen Riccardo. Dabei ist Teresa naiv und unerfahren und hat von Sex nur ein wage Ahnung. Ihre Mutter züchtig jeden Anflug von Eigenständigkeit hart und mit unberechenbarer Gewalt, der Vater ist nach einem Selbstmordversuch passiv und schützt Teresa nicht.
Die Bekanntschaft mit Riccardo weckt erstmals ihren Widerspruchsgeist und die Idee, dass ihr ein anderes Leben und Liebe zusteht.
Aber Riccardo ist nicht der Held in der strahlenden Rüstung, den Teresa sich wünschen würde.
Die zweite Zeitebene spielt im Jahr 2019 und Teresas Sohn Niccolò ist ein emotional verwahrloster junger Mann und verbringt seine Tage mit Drogen, Sex und manchmal mit Kleinkriminalität. Zu seinem Vater Riccardo haben er und Teresa wenig Kontakt bis der eines Tages vor der Tür steht um Niccolò mit auf einen Road Trip mitzunehmen.
Niccolò ist wenig begeistert. Er hasst seinen Vater noch mehr als seine Mutter, hofft aber auf dem Trip mehr über die Vergangenheit seiner Eltern zu erfahren. Aber was will Riccardo wirklich? Vergebung? Eine Vater-Sohn Beziehung aufbauen oder seinen Sohn in seinen Abgrund aus Verkommenheit mitreißen?
Späte Reue?
Ich merke schon, dass meine beschreibende Methode mich dem Roman zu nähern angedichts der Rohheit, der Abgründe und der Gewalt diesmal nicht gut funktioniert. Viele von Insolias Figuren sind schwer gezeichnet von emotionaler Leere, Versehrtheit und Rücksichtslosigkeit. Es stellt sich die Frage, ob der Kreislauf aus Schuld und Gewalt unterbrochen werden kann und ob eine Umkehr möglich ist. Um noch einmal ganz deutlich zu werden, Insolias brutale Szenen von häuslicher, sexueller oder einfach nur sinnloser Gewalt sind wirklich drastisch und intensiv und stellt Lesende vor die Frage, ob hier nicht die individuelle Grenze zum Trauma Porn überschritten wird.
Für wird sie das nicht, sondern die Gewalt stellt mir die Frage, für wieviele Abgründe ein Mensch sich bewusst entscheiden kann, bevor er nicht mehr herauskommt und darin gefangen ist. Ob trotz unendlicher Schuld Vergebung und Umkehr möglich ist?
Insolia schreibt großartig lebendig, roh und direkt und zieht mich komplett in den Bann seines Romans. Teresas Geschichte geht mir nah und ich hätte mir für sie vor allem gegen Ende noch mehr screentime gewünscht. Sie muss hinter der zentralen Vater-Sohn Geschichte von Riccardo und Niccolò Geschichte zurückstecken, die Insolia zum starken emotionalen Kern und dramaturgischen Höhepunkt ausgebaut hat.
“Und was uns am glücklichsten gemacht hat, hat zugleich die Fähigkeit, uns, eben mit seinem Ende, zu zerstören.”
Das war mitreißend, unglaublich intensiv und kraftvoll, und dabei scheinbar ohne Zögern und angstfrei ausgearbeitet.
Und obwohl “Brennende Himmel” auch einige Angriffsfläche für Kritik bietet, war Insolias zweiter Roman für mich eine absolut aufreibende Erfahrung und neben „Malnata“ der Pageturner unter meinen italienischen Romanen der letzten Zeit!
Ein großes Dankeschön an den unabhängigen Verlag Karl Rauch und Politycki & Partner für das Rezensionsexemplar mit dem wunderschönen und faszinierenden Cover! Danke und viel Erfolg an Mattia Insolia für den Roman!
Aus dem Italienischen von Mirjam Bitter
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