„Ich bin nicht ich, ich bin »die Mama von Daria«. Oder sogar nur »die Mama«. Ein Krankenhaus zu betreten heißt jedes Mal, aus der eigenen Haut zu schlüpfen und »die Mama« zu werden. So nennen uns die Krankenschwestern. Nicht Signora. Mama. Keine Frau mehr, kein Mensch mehr. Ich bin eine Rolle, eine »Funktion von dir«. Übrigens sind wir Mütter die Ersten, die sich so bezeichnen.“
Ich wollte meine Rezension „Brief an mein Kind“ mit diesem Zitat beginnen, denn ich kann diese Zeilen nachfühlen. So wie ich vieles in dem in Briefform gehaltenen Memoir von Ada D‘Adamo nachfühlen kann. Es steckt so viel Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Liebe in ihren Worten. Das macht das Lesen extrem schmerzhaft und intensiv.
D‘Adamos Tochter Daria, an die der Brief gerichtet ist, wird mit HPE, Holoprosenzephalie, geboren, einer schweren pränatal entstandenen Fehlbildung des Vorderhirns und des Gesichts. Ein Schock für die frischgebackene Mutter, denn während der Pränataldiognostik und den Ultraschalluntersuchungen wurden keinerlei Auffälligkeiten festgestellt. Eine Diagnose, bei der sich viele werdenden Eltern für einen medizinisch indizierten Abbruch entscheiden, so wie D‘Adamos Freundin.
Wie hättest du entschieden, wenn du eine Wahl gehabt hättest?
In ihrem Brief an Daria berichtet D‘Adamo von der immensen Überforderung, der sie sich plötzlich ausgesetzt sieht. Von der fehlenden emotionalen Unterstützung durch Ärzt*innen und von der Erwartungshaltung der Gesellschaft an Mütter, diese schwere Aufgabe unsichtbar und klaglos zu schultern.
Die ersten Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sind eine tägliche Hölle, für die es keine Worte gibt.
„Nein, ich bin nicht in der Lage, von diesem meinem Schmerz zu erzählen, und an deinen wage ich nicht einmal zu denken. Mich rettet die Illusion, dass du dich nicht daran erinnern kannst.“
D‘Adamo ist in ihrem Brief schonungslos ehrlich, offenbart ihre widersprüchlichen Gefühle, ihre Verzweiflung und ihre Schuldgefühle. Doch auch von ihrer großen, zärtlichen Liebe zu ihrer einzigartigen Tochter, die sich dieses Leben nicht ausgesucht hat.
Der „Brief an mein Kind“ geht bei mir wirklich ganz tief und ich muss öfter tief durchatmen bei dem Gedanken an diese Frau und ihre Durchhaltekraft, an ihr Weitermachen, ihre Weigerung in Bitterkeit zu verfallen und an ihren Willen das Leben in seiner Begrenztheit und die schönen Momente zu feiern.
Als D‘Adamo an Krebs erkrankt, ist es die Sorge um Daria, die sie kämpfen lässt, wenn sie am liebsten aufgeben möchte. Ach, ich will gar nicht mehr dazu schreiben, ich merke wie ich innerlich eine Distanz suchen muss, damit es nicht zu schmerzhaft wird. Eine Option, die D’Adamo nie hatte.
Ada D‘Adamo starb im April 2023 an ihrer Krebserkrankung und wurde posthum mit mit Strega-Preis, dem bedeutendsten Literaturpreis Italiens, ausgezeichnet.
Mein Highlight aus meinen italienischen Lektüren der letzten Zeit.
Ein großes Dankeschön an den Eisele Verlag und Politycki & Partner für das ergreifende Rezensionsexemplar!
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
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