Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass die Protagonist*innen in Romanen oft selbst Schriftsteller*innen sind?
Auch die fiktive Ich-Erzählerin in „Der Jahrestag“ ist preisgekrönte Schriftstellerin und hat das mit der australischen Autorin Stephanie Bishop gemeinsam. Über weitere Parallelen kann ich natürlich nur spekulieren.
In „Der Jahrestag“ ist ein Ehepaar auf einer Kreuzfahrt und – ich verrate hier nicht mehr als der Klappentext – der Ehemann geht während eines überraschenden Sturmes über Bord und stirbt.
Sie ist eine erfolgreiche Schriftstellerin Ende 30. Er, ein erfolgreicher Filmemacher und 20 Jahre älter. Was als eine klassische Affäre zwischen Studentin und Professor begann, endete in einer langjährigen und kinderlosen Ehe, in der es aber mittlerweile kriselt.
Daher auch die Kreuzfahrt als Versuch die Ehe zu retten, initiiert von der Erzählerin.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als geht die Gleichung auf. Das Paar hat augenscheinlich eine gute Zeit an Bord, aufregenden „außergewöhnlich guten“ Sex, solange bis der Mann über Bord geht.
“Ich war allein. Ich war jetzt seine Witwe. Ich war nicht mehr seine Frau.”
Du musst jetzt wissen, „Der Jahrestag“ ist einer dieser Romane, die perfekt aufgebaut und komponiert sind.
Das wird mir während dem Lesen ganz allmählich klar, während der Roman mich immer mehr in seinen Bann zieht.
Bishop ist eine geniale Erzählerin und legt die Spannungskurve erst flach an, um sie dann kraftvoll und erfreulich zu steigern.
Langsame Steigerung der Spannung
Mich begeistert besonders die manchmal subtile, später auch die deutliche Kritik am an der sexistischen, nein ich würde sogar sagen, misogynen Rezeption der Arbeiten von Schriftstellerinnen im Vergleich zu Schriftstellern. Die Kritik ist nicht nur auf den Literaturbetrieb begrenzt sondern wird auf die Lebenswege von Frauen im Allgemeinen ausgeweitet. Der Aspekt der Mutterschaft und möglicherweise nicht vorhanden Kinderwunsch und weibliche Kinderlosigkeit ist ebenso Thema wie das potentielle Machtgefälle in ungleichen Beziehungen.
Gerade die ambivalente und sich verändernde Beziehung zwischen der Erzählerin und ihrem Mann offenbart Bishop in Rückblicken und Reflexionenen immer deutlicher, ohne jedoch ein letztendliches Urteil über die Rollenverteilung vorzugeben.
Diese deutliche Verdichtung der Handlung im Laufe des Romans erzeugt bei mir eine große Spannung und lässt mich den Roman gerade in der zweiten Hälfte kaum aus der Hand legen.
Und der Schluss….I mean…
„Vielleicht können wir alle nicht anders, als das zu werden, was wir am allerwenigsten werden wollen, sind so auf das fixiert, was wir zu vermeiden suchen, dass wir es unwillkürlich herbeiführen.“
Sorry, das war einfach wieder ein Highlight, ich kann es nicht anders sagen!
Intelligente und spannende Unterhaltung mit feministischer Gesellschaftskritik.
Ein fettes Dankeschön an den dtv Verlag für das aufregende Rezensionsexemplar!
Aus dem australischen Englisch von Kathrin Razum
🔹P.S.: Thematisch erinnerte mich der Roman ein bißchen an „Die Ehefrau“ von Meg Wollitzer. Wenn du den mochtest, bist du auch hier genau richtig.
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