Oh ja, das war das gut. Das Hörbuch von „Der Schlüssel“ von Junichiro Tanizaki!
Ich greife eigentlich sehr selten zu älteren Romanen, weil es immer so viel gutes Zeitgenössisches gibt und mich ein älterer Erzählstil schnell…nun ja…äh langweilt.
Aber ein Roman, der nach seinem Erscheinen 1956 in Japan als erotischer Skandal und als pornografisch galt und die dunkle Seite der Sexualität beleuchten soll?
Wer wird da nicht neugierig? Eine Einladung zum Voyeurismus, die ich gerne annehme.
Ein mittelaltes Ehepaar ist seit 20 Jahren miteinander verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. In Form eines Tagebuchromans lässt Junichiro das Ehepaar wechselweise über ihr Sexleben und ihre Beziehung schreiben.
Er hält Sie, da sehr den strengen Konventionen verhaftet, für prüde und dennoch lüstern. Sie fühlt sich überfordert und angewidert von den Wünschen ihres Ehemannes und möchte ihm dennoch zu Gefallen sein.
Große Scham und gesellschaftliche Tabus hält beide davon ab über ihre Wünsche und ihr Begehren zu sprechen. Das Paar hat sich in über 20 Jahren noch nie nackt bei Licht gesehen.
Seine Tagebucheinträge über das Sexleben werden von ihm begonnen, in dem Wissen, dass seine Frau, es heimlich lesen wird und er hofft, so eine Möglichkeit zur Kommunikation ohne gesprochene Worte zu schaffen.
Aber ist das wirklich so?
Es bleibt lange im Unklaren, wer wirklich wessen Tagebucheinträge liest und welche Motivation dahinter steckt. Hier mitzurätseln und sich eigene (feministische) Gedanken zu machen, macht mir riesigen Spaß!
Der Plan geht auf, und das Intimleben des Ehepaares erwacht zu neuem, intensiven Leben. Doch Sex, Besessenheit, Abhängigkeit und Eifersucht sind eine explosive Mischung, und am Ende werden nicht alle überleben…
Dieser Roman mit seinem wahnsinnig spannenden Aufbau hat mich wirklich sehr positiv überrascht und wird so schnell keinen Staub ansetzten. Auch wenn es die ganze Zeit nur um das eine geht, wird die Sprache zwar bildlich und explizit, aber niemals derb oder zu grafisch. Die sexuellen Wünsche und Fantasien der beiden können heutzutage natürlich nicht mehr schockieren, der Grundkonflikt der Sprachlosigkeit bei Verlangen und Tabuthemen bleibt aber zeitlos.
Dieser Roman von Junichiro Tanizaki hat mich richtig, richtig gut unterhalten und mir einiges zum Nachdenken über sexuelle und gesellschaftliche Konventionen mitgegeben.
Das Hörbuch wird wirklich sensationell im Wechsel gelesen von Therese Hämer und Moritz Stoepel und wurde produziert von Der Diwan – Hörbuchverlag.
Aus dem Japanischen jetzt neu übersetzt von Katja Cassing und Jürgen Stalph.
P.S. Zuerst entdeckt hatte ich den Roman bei Britta von Buchlingreport und mir gemerkt. Danke!
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