DIE GEBÄRMUTTER von Sheng Keyi

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Die Gebärmutter Sheng Keyi Rezension

Sheng Keyi ist eine chinesische Autorin, die in Deutschland noch weitestgehend unbekannt ist, obwohl sie seit vielen Jahren ein umfangreiches, auch international anerkanntes Werk geschaffen hat. Ihre erzählerischen Bücher und Romane beschäfftigen sich hauptsächlich kritisch mit der gesellschaftlichen Situation in China und sind in ihrem Heimatland teilweise verboten.

In „Die Gebärmutter“ erzählt Keyi aus dem Leben mehrerer Generationen von Frauen einer weitläufigen Familie in der chinesischen Provinz. An ihren Schicksalen zeigt sich die Unterdrückung der Frauen im Wandel der Zeit. Der Großmutter wurden während der Qing Dynastie noch wie damals oft üblich die Füße gebunden, um ihren (sexuellen und gesellschaftlichen) Wert zu steigern und um ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken. Mit der kommunistischen Revolution verschwand diese Praxis. Aber nicht, weil man die Unmenschlichkeit und Grausamkeit derselben erkannt hätte, sondern weil sie die Arbeitskraft der Frauen schwächte. 

Die Unterdrückung und Kontrolle von Frauen und ihrer Gebärfähigkeit setzte sich auf andere, vielleicht subtilere Weise fort.

Keyi beschreibt diesen gesellschaftlichen Wandel anhand ihrer Figuren.

Im Gegenzug wird dafür ein gewisser Konformismus und ein Unterordnen unter die dörflichen Sozialkonventionen erwartet.

gesellschaftliche Kontrolle

Es wirkt auf mich befremdlich, dass in diesem Umfeld über jegliche Familienplanung wie Schwangerschaften, Abtreibungen und die sehr üblichen Sterilisationen der Frauen zu Zeiten der Ein- und Zwei-Kindpolitik im weiteren Familienkreis diskutiert und entschieden wird.

Die Gebärmutter als allgemeines Gut, über das die Gemeinschaft und der Staat entscheiden kann.

Diese Punkte arbeitet Keyi gut und deutlich heraus. Trotzdem konnte mich der Roman nicht wirklich begeistern. Aber das soll er vielleicht auch gar nicht. Die Vielzahl der Figuren und der Einzelschicksale schafft bei mir eine große Distanz und verhindert ein Eintauchen in die Geschichte. Das könnte für sich ein Stilmittel sein, hat aber für mich nicht funktioniert, da Keyi sehr bei den einzelnen Geschichten bleibt und den Blick nicht (oder für mich nicht erkennbar) auf den weiteren sozialen oder politischen Kontext richtet. 

Wahrscheinlich verhindert auch meine westliche, feministische Prägung, dass ich diese Reduzierung eines Frauenlebens auf Biologie und Gebären wirklich verstehen kann. Es macht mich nachdenklich, dass ich in Keyis Roman eigentlich die Botschaft erwarten würde, dass es für chinesische Frauen des 21. Jahrhunderts auch eine Perspektive ohne Partner und Kinderwunsch geben könnte. Oder das so ein Leben überhaupt im Bereich des gesellschaftlich Möglichen liegen könnte.

Letztendlich können Keyis Figuren der biologischen Determinierung durch ihre Gebärmutter nicht entkommen.

Aus dem Chinesischen von Frank Meinshausen

P.S.: Weiterführender Romantipp: „Der Seidenfächer“ von Lisa See, sehr emotionaler und lesenswerter Roman über zwei Freundinnen im ländlichen China des 19. Jahrhunderts.

Die Gebärmutter Sheng Keyi Klappentext

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