Im April 1945, kurz vor Kriegsende, errichtete der NS-Kreisleiter Johann Braun im niederösterreichischen Schwarzau ein illegales „Standgericht“. Unterstützt von sogenannten „Sonderkommandos“ (bestehend u. a. aus Volkssturm und Hitlerjugend) und unter dem Vorwand, „politisch unzuverlässige“ Personen zu bestrafen, ließ er Männer und Frauen verhaften, verurteilen und hinrichten.
Ist das ein Stoff für einen einen unterhaltsamen, fiktionalisierten Roman? Der österreichische Schriftsteller Martin Prinz hat über diese Frage länger nachgedacht, wie er in den Nachbemerkungen erklärt.
“Keine Fiktion könnte dem je gerecht werden, was Kermer über die Schicksale der Opfer dokumentiert hatte.”
Und dennoch ist Schweigen keine Alternative. Und ein unterhaltsamer Roman ist „Die letzten Tage“ wahrlich nicht geworden, dafür aber vielleicht ein lesenswertes und wichtiges Mosaikstück für ein besseres Verstehen.
Prinz stützt sich für „Die letzten Tage“ auf umfangreiche Recherchen, insbesondere auf die Protokolle und Zeugenaussagen des Volksgerichtshofprozesses von 1947. Er vermischt historische Dokumente mit literarischer Gestaltung, um die Mechanismen von Machtmissbrauch und Gewalt in den letzten Kriegstagen aufzuzeigen .
Gegen das Vergessen
Der Roman stellt die Sprache und Rechtfertigungen der Täter in den Mittelpunkt, wodurch die Leser die Abgründe menschlichen Handelns nachvollziehen können.
Immer wieder stoße ich auf die Formulierungen „wisse er nicht“, „hat den Auftrag gegeben“, „nicht sicher“ und „nicht gesehen“. Prinz arbeitet deutlich heraus, wie die Beteiligten die Verantwortung leugnen und/oder weiterschieben.
Und natürlich will im Nachhinein auch niemand ein Nazi gewesen sein!
“Dies allein beweise schon, dass er nur bei der SA gewesen sei, weil er immer schon großes Interesse für Sport gehabt habe und sich als Sportler und Soldat fühle, nicht jedoch als fanatischer Nationalsozialist.”
Besonders nachdenklich macht es mich, dass einige durchaus zugeben, ein Gefühl des Unrechts gespürt zu haben. Aber warum erhebt niemand Einwände gegen das Standgericht? Warum werden die Urteile dann auch noch vollstreckt? In der Zusammenstellung der Texte zeigt sich die verdrehte Gedankenwelt der Täter.
„Und nachdem Braun mit dem Befehl gekommen sei, ein solches Standgericht zu errichten, habe er ihm das glauben müssen.“
Die letzten Tage ist somit nicht nur ein historischer Roman, sondern auch ein Stück literarischer Aufklärungsarbeit, das die dunklen Kapitel der österreichischen Geschichte beleuchtet und zur Reflexion über Verantwortung und Erinnerungskultur anregt.
Nach dem Krieg wurden die Mitglieder des Standgerichts – Braun, Wallner und Weninger – vom Volksgericht als Kriegsverbrecher angeklagt. Braun und Wallner wurden 1948 hingerichtet, Weninger beging 1946 Suizid in der Haft.
Ich muss sagen, dass mir das Lesen des Romans teilweise schwerfiel. Das lag zum einen natürlich an der Schwere des Thema, zum anderen aber auch an der Authentizität der historischen Texte, die für mich rein stilistisch nicht so einfach erfassbar waren. Zusätzlich haben mich die vielen Namen einfach überfordert und es fiel mir schwer den Überblick über die vielen Zeugenaussagen und die Zusammenhänge zu behalten.
Mit diesem kleinen Disclaimer möchte ich dir den Roman aber trotzdem empfehlen, wenn du dich thematisch mit der Aufarbeitung des dritten Reiches beschäftigen möchtest!
Vielen Dank an den österreichischen Jung & Jung Verlag für das gewünschte Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Martin Prinz für den Roman!
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