von Jürgen Pettinger
Homosexualität unter der Nazidiktatur? Bei schwulen Männern handelte es sich um einen schweren Straftatbestand, ein „Sittlichkeitsverbrechen“, das mit der Deportation in ein Konzentrationslager oder in eine psychiatrische Anstalt bestraft werden konnte. Bei Frauen sah die gesetzliche Lage aufgrund der „sehr bescheidenen Rolle der Frau im öffentlichen Leben“* etwas anders aus, jedoch nicht weniger gefährlich. Für Frauen wie die berühmte deutsche Schauspielerin Dorothea Neff, die sich nicht dem Nazi-Regime andiente, konnte bereits der Verdacht jeglicher Abweichung zu sozialer Isolation, dem Verlust des Arbeitsplatzes oder sogar Kerkerhaft führen.
Jürgen Pettinger hat das Format der Romanbiografie gewählt, um endlich auf das Leben, den Mut und die Liebe von Dorothea Neff und ihren Freundinnen aufmerksam zu machen.
Denn Neff fühlte sich nicht nur zu Frauen hingezogen, sondern versteckte auch ihre Freundin Lilli Wolf, eine Jüdin, unter schwierigsten Bedingungen jahrelang in ihrer Wiener Wohnung.
Nicht nur die kleine Wohnung, auch die Beziehung zwischen Neff und Wolff wird zum Schutz und Gefängnis gleichermaßen.
Was es für die beiden Frauen bedeutete, permanent der Angst vor Entdeckung und ständiger innerer (im Falle Neffs) und auch wortwörtlicher (im Falle Wolfs) Isolation ausgesetzt zu sein, lässt sich sehr gut aus Pettingers Text herauslesen.
„Lilli war ein Geist geworden. Sie existierte, aber niemand außer Dorothea konnte sie je sehen.“
Gemeinsam schaffen es die Frauen, den schwierigen Umständen der Kriegsjahre zu trotzen. Sogar eine Operation der gesundheitlich sehr angeschlagenen Wolff in einem Krankenhaus wird mit einiger Hilfe und unendlicher Angst realisiert.
Doch diese Jahre der furchtbaren Angst und der Isolation hinterlassen Spuren, vor allem bei Lilli Wolff.
Versteckt: Rettung oder auch Gefängnis?
„War es nicht der Sinn des Lebens, einen Eindruck zu hinterlassen bei anderen und auf der Welt? Ein Mensch kann sich nur im Austausch mit anderen entwickeln, lernen, besser werden, leben. Was für einen Sinn hatte es, alleine zu sein, nichts zu bewirken, nichts zu schaffen, nichts zu hinterlassen, nichts zu dürfen, von niemandem gesehen und gehört zu werden?“
Ich möchte bei dieser Romanbiografie sehr lobend die schriftstellerische Zurückhaltung Pettingers hervorheben. Neff und Wolff, sowie ihre Freundinnen, äußerten sich auch lange nach dem Krieg niemals offensiv zur Natur ihrer Beziehung. Zwar lebten beide ohne Täuschung bis an ihr Lebensende in langjähriger Gemeinschaft mit Frauen, sich aktiv geoutet oder sich im Detail dazu geäußert haben sie sich nie.
Pettinger lässt den Frauen diese Privatsphäre und füllt diese Lücken in der Schilderung dieser Jahre nicht mit seiner eigenen Phantasie oder mit naheliegenden Spekulationen, sondern bezieht sich nur auf gesicherte Quellen und spätere Tonbandaufnahmen. Das schätze ich sehr, genauso wie seine einordnenden Worte im Epilog.
Ergänzt wird sein Text mit schönen schwarz-weiß Aufnahmen der Frauen und ihren Unterstützern und einem Vorwort von Andreas Brunner.
Ich möchte diese Buchvorstellung mit den Worten Erwin Ringels, eines Freundes und Unterstützers der Frauen, schließen:
»Sterben müssen wir doch alle früher oder später, dann lieber zu Lebzeiten das Richtige tun.«
Vielen Dank an Kemayr & Scheriau und Buchcontact für das Rezensionsexemplar mit dem schimmernden Cover. Und an Jürgen Pettinger für seine Arbeit und dieses Buch.
(*Zitat Wenzel Gleispach, aus dem Vorwort von Andreas Brunner S. 6)
Schreibe einen Kommentar