Am 7. Oktober 2023 dringen Terroristen unter Führung der palästinensischen radikal-islamistischen Hamas an verschiedenen Stellen in Israel ein und verüben dort Gräueltaten und Massaker an der Zivilbevölkerung.
Über 1200 Menschen werden getötet, Tausende verstümmelt und verletzt.
Die Terroristen setzten neben Folterungen und willkürlicher Grausamkeit auch gezielt sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen gegen Frauen und Mädchen ein. Die Taten und Vorgehensweise wurde größtenteils mittels Smartphonevideos und Bodycams gefilmt und machen den Terroranschlag zum bestdokumentierten der Geschichte.
240 Geiseln werden von der Hamas nach Gaza verschleppt. Stand heute sind immer noch zahlreiche Geiseln in der Hand der Hamas, andere sind mittlerweile tot oder befreit.
Der israelische Historiker Tom Segev bezeichnete den Angriff als „schlimmsten Tag des Landes seit 1948.“
Um mich diesem Ereignis und seinen Hintergründe zu nähern, entschied ich mich für den Text des Journalisten Ron Leshem. Leshem, der mittlerweile als Autor in den USA lebt, wurde in Tel Aviv geboren und arbeitete einige Zeit als israelischer Geheimdienstoffizier.
Am 7. Oktober wurden sein Onkel und seine Tante im Kibbuz Be‘eri ermordet und sein Cousin Itay als Geisel verschleppt. Die Beschreibungen des Lebens seiner Verwandten im Kibbuz und ihr Tod geben Leshems Text eine sehr persönliche Note, die er aber zurückhaltend einsetzt.
Die Bevölkerung blieb ohne Vorwarnung
Leshem blickt in seinem Buch zurück in die Vergangenheit Israels und gibt tiefe Einblicke in seine Geschichte. Er beschreibt die weit zurückreichenden Konflikte, die das Land immer wieder zu zerreißen drohten.
Er charakterisiert Israel als Land, das in einer posttraumatischen Belastungsstörung gefangen ist.
Die Politik der letzten Jahre und die Regierung Netanjahus kritisiert er stark. Genauso wie die Fehler und die Arroganz, die den Terror des 7. Oktober erst ermöglichten.
“Ein Staat lies seine Bürger im Stich und verriet sie”
Leshem sieht die Auswirkungen, die das Massaker auf die israelische Bevölkerung haben wird:
“Ein toxischer Gefühlscocktail wurde gemixt aus Angst, Ohnmacht, Frustrationen, Trauer, Hass und Zorn. Und Verzweiflung. Das Grauen vermag es das monströse aus einer Gesellschaft herauszuholen . Und dies ist kein Korken der sich schon bald mit einem Knall lösen wird. Das ist eine Lava, die wir über Jahre fließen sehen werden.”
Ein Teil des Buches widmet Leshem der minutengenauen Rekonstruktion der Eregnisse am 7. Oktober, die durch umfangreiche und detaillierte Recherchen, Interviews und Auswertungen von Videomaterial entstanden ist. Diese Schilderungen der von ihm herausgegriffenen Schicksale und Ereignisse sowie die grausame Vorgehensweise der Terroristen ist nur sehr schwer auszuhalten.
In einem weitereren, großen Teil des Buches versucht Leshem zu den Ursprüngen des israelisch-palästinensischen Konflikts vorzustoßen und gibt einen geschichtlichen Rückblick über vergangene Kriege und ihre Auswirkungen. Diesen Teil würde ich nicht als basic bezeichnen, sondern er setzt ein gewisses Grundwissen voraus, den Leshem geht teilweise sehr ins Detail. Um mein Verständnis zu verbessern und um folgen zu können, sind für mich hier einige Recherchen nötig.
sehr tief gehender geschichtlicher Rückblick
Faszinierend fand ich vor allem Leshems Einblicke in die Philosophie und Glaubensaufassung der Hamas und ihr Verhältnis zu modernen Kommunikationsmedien, das sich auch während der Terroranschläge zeigt.
Zum Teil übernahm die Hamas Strategien des Social Media Marketings des IS. Sie kopierte dabei deren Taktik “gefilmte Brutalitäten effektiv einzusetzen”.
Folter, Vergewaltigungen, Hinrichtungen und später den Verbleib der Geiseln inszeniert die Hamas als grausame Reality Show.
“Andererseits, und mit Hilfe anderer Kamerabilder, stellt sie sich als Opfer da und als Verfechterin der Humanität”.
Generell geht Leshem sehr anschaulich darauf ein, wie heute gezielt Meinungen und ganze politische Strömungen durch digitale Plattformen manipuliert werden. Die reine Existenz und das Wissen um Deepfakes und KI reicht bereits aus um die Deutung eines jeden Ereignisses beliebig dem eigenen Glauben anzupassen. Unabhängig vom Realitätsgehalt.
Leshem schließt seinen Text im festen Glauben daran, dass posttraumatisches Wachstum und Veränderung jenseits von Radikalismus für Israel und Palästina immer noch möglich und global erstrebenswert ist.
Sein Plädoyer für den Schutz der Demokratie, seine Warnung vor einem weiteren weltweiten Erstarken von radikalen und extremen Strömungen, egal welcher Glaubensrichtung, und sein Aufruf zu mehr aktiven politischen Widerstand der liberalen Mehrheit ist auch für Europa und für mein Heimatland ein gültiger und dringlicher Appel.
Das Hörbuch von „Feuer“ hat mir emotional wie intellektuell viel abverlangt und einiges an geschichtlicher und politischer Nacharbeit gefordert, mich dadurch aber auch sehr bereichert.
Ich schätzte „Feuer“ als sehr geeigneten und höchst informativen Text zur eigenen Meinungsbildung ein. Ich wüsche mir sehr, dass er möglichst viel und verbreitet gelesen und diskutiert wird.
Das Hörbuch liest Timo Weisschnur optimal.
Übersetzt von: Ulrike Harnisch, Markus Lemke
Mein Dank geht an den Argon Verlag und NetGalley, die mir ein digitales Hörexemplar zur Verfügung gestellt haben.
Das entsprechende Hardcover erschien beim Rowohlt Verlag.
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