Gratisessen für Millionäre von Min Jin Lee

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Gratisessen für Millionäre Min Jin Lee Rezension

„Ehrgeizig, versiert, fesselnd. Ein Buch, das man so hingerissen verschlingt wie einen klassischen Roman aus dem 19. Jahrhundert.“

Ich hole mir für den Einstieg in diese Rezension zu dem Roman von Min Jin Lee Hilfe von der New York Times, auch wenn ich diesem Blurb nur teilweise zustimmen kann. 

„Hingerissen verschlingen“ würde ich für mein Lesen als Euphemismus bezeichnen, auch wenn das für die 800 Seiten natürlich ein Traum gewesen wäre.

Ja, es ist ein zeitloser großer Gesellschaftsroman, der auf vielen Ebenen Zugangsmöglichkeiten bietet und der im Original bereits 2007 erschienen ist.

Min Jin Lee behandelt in ihrem Roman „Gratisessen für Millionäre“ nicht nur verschieden gesellschaftlich relevante Themen sondern auch die individuelle Entwicklung verschiedener Charaktere.

Ihre Protagonistin Casey ist die Tochter koreanischer Einwanderer, die sich in New York durchkämpfen müssen. Ich mag die Figur Casey sehr gern, sie ist stolz und unkonventionell und versucht die schwierige Balance zwischen den Traditionen ihrer Eltern und koreanischen Community und der eigenen Verwirklichung. Als ihr Vater ihr noch mit über 20 vorschreiben will, wenn sie daten darf und wie ihre berufliche Zukunft auszusehen hat, kommt es zum harten Bruch. Casey verliert die Unterstützung ihrer Familie.

Doch im kapitalistischen New York ist der amerikanische Traum teuer. Min Jin Lee, selbst in Südkorea geboren und als Kind in die USA immigriert, schildert anhand ihrer detailliert ausgestalteten Charaktere und deren Schicksale die engen Grenzen einer gnadenlosen Klassengesellschaft.

Hilfe nur gegen Gegenleistung?

Um zu überleben und im Leben vorwärts zu kommen, muss Casey immer wieder Hilfe von anderen Menschen annehmen, was ihr zuwider ist. Denn auch gern gegebene Hilfe kommt immer mit einem Preisschild.

„Und warum tust du so, als ob arme Menschen keine Wahl haben dürfen? Muss ich denn immer nehmen, was mir angeboten wird? Muss ich immer dankbar sein?“

Aber ist das wirklich so, oder steht Casey einfach ihr Stolz und ihre Angst vor Abhängigkeit im Weg. Das ist eine der vielen Fragen, die Min Jin Lee sehr subtil zwischen den Zeilen einbaut. Vordergründig scheint es eher um die Frage zu gehen, wer auf wen steht und vor allem: wer wen heiratet oder auch nicht.

Heiraten scheint DAS große Thema nicht nur in der koreanischen Gemeinschaft, sondern auch für die amerikanischen Figuren der Upper Class dreht sich alles um den kleinen Ring am Finger. Ebenfalls viel Raum in dem Gesamttableau nimmt Optik und Mode ein. Ganze Abschnitte drehen sich um das delikate Aussehen und das modische Auftreten der Beteiligten. Spoiler: da trägt keine*r eine Leggins.

Literarisch ist in meinen Augen Luft nach oben. Der Schreibstil zeichnet sich nicht durch schreiberische Finesse aus, lässt sich aber angenehm und flüssig lesen. Störend empfinde ich die permanenten Perspektivenwechsel, oft sogar in der gleichen Szene. Das erspart mir zwar das Denken, determiniert aber auch die Figuren und lässt wenig Raum für Fantasie.    

Ich las den Roman gerne wegen der detaillierten Einblicke in die US-koreanischen Community und der gut gezeichneten Figuren. Aber auf Grund meiner (sehr individuell empfundenen) Kritikpunkte blieb die ganz große Begeisterung aus. 

Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Fischer

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