Ich hatte mich sehr auf den neuen Roman „Hier bleiben können wir auch nicht“ von Maren Wurster gefreut. Ihr voriger Roman „Eine beiläufige Entscheidung“ hatte mir ziemlich gut gefallen und eine gewisse Erwartungshaltung geweckt.
Nun, ihr neuer Roman ist …anders.
Ich mochte ihn aber genauso gerne und ich habe viel über ihn nachgedacht. Ich kann mir gut vorstellen, dass er vielleicht kontrovers aufgenommen wird und zwiespältige Meinungen hervorruft.
Wurster hat ihren Roman in einem andeutungsweise dystopischen Setting angelegt, das mich sofort an die Zeiten der Corona Pandemie denken lässt und an die staatlichen Einschränkungen, die mit ihr verbunden waren. Eine kurze Recherche ergibt, dass Wurster und ihre engsten Angehörigen ungeimpft geblieben sind und sehr unter den daraus folgenden Einschränkungen und Repressalien gelitten haben (Quelle: Berliner Zeitung). Diese Erfahrungen scheinen in ihren neuen Roman eingeflossen zu sein.
Denn ihre Ich-Erzählerin Gesa hatte sich im staatlichen System der Städte der Zukunft, das seine Bürger*innen mit einem Chip überwacht, schon länger nicht mehr wohl gefühlt. Ihr Freund Tom, der Vater von Marie, ist einige Monate vorher plötzlich und sehr überraschend aus unklaren Gründen gestorben.
„Ich dachte viel an ihn, aber traurig konnte ich nicht sein. Denn ich hatte mir seinen Tod gewünscht.“
Auf der Suche nach einem alternativen Leben für sich und ihre kleine Tochter Marie, kauft sie nach Toms Tod ein sehr abgelegenes altes Haus auf dem Land. Dort zieht sie mit ihrer Tochter ein.
Doch auch in dem neuen Umfeld, in der ländlichen Abgeschiedenheit, fühlt sich Gesa nicht angekommen. Sie wird von mysteriösen Vergiftungserscheinungen geplagt, fühlt sich oft unwohl und krank.
In der Nähe ihres Hauses trifft sie auf eine Landkommune mit Aussteiger*innen, die dort ihren Traum von einem freieren und alternativen Leben verwirklichen wollen. Gesa und ihre Tochter freunden sich mit ihnen an und verbringen immer mehr Zeit mit der Gruppe.
Können Mutter und Tochter dort die Gemeinschaft und das Zuhause finden, nach dem sie sich so sehr sehnen?
Wir können wir zusammen leben?
Wurster beschäftigt sich in ihrem Roman viel mit Lebensmodellen und mit dem Wunsch nach der richtigen Lebensform. Kann es die in der Gruppe überhaupt geben und welchen Preis muss jeder dafür zahlen?
Wieviel individuelle Freiheit ist überhaupt möglich, wenn Menschen gemeinsam leben und entscheiden?
Das sind sehr aktuelle Fragen, die nicht nur während der Corona Pandemie sehr relevant waren, sondern auch generell immer wieder in verschiedenen Kontexten in Frage gestellt werden und diskutiert werden sollten.
Ich mochte den Roman auch deshalb, weil er meiner Meinung nach, sehr spannend und ansprechend erzählt ist, auch wenn er vielleicht nicht die emotionale Dichte besitzt, die mir in „Eine beiläufige Entscheidung“ so gut gefallen hat.
Dafür überrascht er mich mit einem kurzem dritten Teil, der noch mal ein komplett neues und anderes Licht auf die Geschichte wirft.
Auch die großen Leerstellen und das Nicht -Auserzählte haben mir persönlich sehr gut gefallen, könnten aber für andere Leser*innen vielleicht zu wenig konkret wirken.
Ich würde „Hier bleiben können wir auch nicht“ mit den Adjektiven sehr rätselhaft, fesselnd und ein bißchen speziell zusammenfassen. Für mich ein sehr gelungener und lesenswerter Roman.
Vielen lieben Dank an den Berlin Verlag für das gewünschten Rezensionsexemplar.
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