Als ich „Intimitäten“ vor längerer Zeit das erste Mal zur Hand nahm, legte ich es relativ schnell wieder zur Seite. Es schien mir zu unspektakulär erzählt und schlicht langweilig.

Ich kann es nicht richtig erklären, aber als ich jetzt einen zweiten Versuch mit dem Roman der amerikanischen Schriftstellerin und Journalistin wagte, war ich derart  gefesselt, dass ich mir meine erste Reaktion nicht mehr erklären konnte.

Es stimmt, die eigentliche Geschichte ist keinesfalls spektakulär im Sinne von sensationeller Action, aber ich fand Kitamuras Erzählstil unglaublich toll.

Ihre Ich-Erzählerin ist eine Dolmetscherin, die aus New York nach Den Haag gezogen ist, um dort am Internationalen Gerichtshof zu arbeiten. Ihre Arbeit, die oft in Simultanübersetzungen während Gerichtsverhandlungen besteht, ist äußerst anspruchsvoll und teilweise belastend. Die große Verantwortung und die dauernde Beschäftigung mit den schlimmsten Kriegsverbrechen und Verbrechern und die moralischen Fragen, die damit verbunden sind, beginnen sie zu belasten.

Auch in ihrem Privatleben fühlt sie Unsicherheiten. Relativ bald nach ihrer Ankunft in Den Haag hatte sie über ihre beste Freundin einen attraktiven Mann kennengelernt und mit ihm eine lockere Beziehung begonnen. Allerdings erfährt sie dann auf unangenehme Weise, dass dieser Mann, für den sie Gefühle entwickelt hat, eigentlich noch verheiratet ist, Kinder hat und in Trennung lebt. Es ist also kompliziert.

Was bin ich dir/mir wert?

Obwohl sich die Erzählerin nicht als eine Frau sieht, die von Männern abhängig sein möchte, kann sie sich den Wunschträumen nach einer gemeinsamen Zukunft nicht entziehen.

Den Haag selbst zeigt sich als nur oberflächlich sichere und saubere Stadt, in der es genauso Schmutz und Gewalt und Überfälle gibt, wie überall. Kann so eine Stadt eine Heimat werden?

Ich verfolge die Gedanken und Abwägungen der Erzählerin wirklich unglaublich gerne, sie wirkt sensibel und integer.

Weder der Gerichtshof noch der Mann, den sie liebt, haben sich für die Erzählerin als so moralisch integer offenbart, wie sie es sich gewünscht hätte. 

Und jetzt?

Die Stärke des Romans liegt für mich nicht so sehr in der Handlungsführung, sondern in der detaillierten Ausgestaltung der Gefühlswelt der Erzählerin. Das ist Kitamura wirklich sehr gut und auch spannend gelungen!

Der eigentliche Grund, warum ich es unbedingt nochmal mit Kitamura versuchen wollte: Im Juli erscheint ein neuer Roman der Autorin. Er heißt „Proben“ und die Kurzbeschreibung klingt für mich unglaublich ansprechend. Ich denke, er hat sich gerade einen festen Platz auf der Leseliste für die nächste Saison erobert!

Das Hörbuch wird (natürlich emphatisch und absolut fesselnd) gesprochen von Katja Danowski und erschien beim Goya Verlag.

Das Hardcover, gibt es, genauso wie der kommende Roman von Katie Kitamura, bei Hanser Literatur.

„Intimitäten“ übersetzt aus dem Englischen von Kathrin Razum