Okay, das war jetzt schon mal kein Highlight. Das liegt daran, dass ich einfach gar nicht weiß, was „Joy“ überhaupt war.
Gesellschaftskritik? Sicher, in Ansätzen. Lustig? Öhm, manche Passagen auf jeden Fall, wenn auch nicht unbedingt mein Humor (ich habe keinen).
Nachdenklich? Weniger.
Ein Krimi? Auch nicht so richtig.
Wobei, vielleicht war es doch ein Krimi, und ich habe die Auflösung verpasst.
Mit “Joy”, das im Original bereits 2012, erschienen ist, gut erkennbar an den Blackberries im Roman und den fehlenden Smartphones, hat Jonathan Lee einen Debütroman vorgelegt, der aus erzähltechnischer Sicht durchaus punkten kann, mich mit der inhaltlichen Ausarbeitung nicht überzeugt hat.
Lees Protagonistin heißt, wie unschwer zu erraten ist, Joy und arbeitet als erfolgreiche junge Anwältin in einer renommierten Londoner Kanzlei. Während der Feier zur Ernennung zur Partnerin stürzt Joy aus dem Fenster und liegt seitdem im Koma. Ein Selbstmordversuch, ein dummer Unfall oder gar ein Mordversuch?
Tiefer Fall von der Spitze des Erfolgs
In Rückblenden erfahre ich, was in den Stunden vor Joys Fenstersturz passiert ist. Dabei bringt Lee neben Joys Perspektive, die auffallenderweise aber nicht in der Ich-Form geschrieben ist, noch weitere Erzählstimmen mit ein, die das Ereignis im Rückblick bewerten. Joys Ehemann, ihren Ehemaligen Geliebten und andere Büromitarbeitende lässt Lee durch einen Strohmann direkt die Leser*innen ansprechen. Lee beschreibt und überzeichnet hier gewisse Typen, wie den karrieregeilen Sexisten, den sexistischen intellektuellen Ehemann und die abgeklärte, leicht rassistischen Boomer Sekretärin, wie sie in vielen Büros zu finden sind. Das finde ich durchaus gelungen und gefällt mir.
Auch die Kontruktion finde ich ungewöhnlich und sie hätte eigentlich großes Potential, mit überraschenden Enthüllungen aufzutrumpfen. In meinen Augen macht Lee allerdings zu viele Handlungsansätze auf, ohne sie auszuerzählen oder später wieder aufzugreifen, was die Spannung leider unbefriedigt verpfuffen lässt.
Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass mir subtilste Auflösungen entgangen sind, was ich allerdings bezweifle.
In den Passagen mit den Beschreibungen des Bürowahnsinns und den darin agierende Personen baut Lee einiges an treffender Kritik am Leistungsgedanken und Absurdität unserer Arbeitswelt mit ein.
Ingesamt war „Joy“ für mich kein stimmiges Leseerlebnis und ich kann dir den Roman nicht mit gutem Gewissen weiterempfehlen.
Vielleicht greifst du stattdessen lieber zu einem der neueren Roman des englischen Autors Jonathan Lee, wie z.B. „Der große Fehler“, der wie mir meine Lesepartnerin Nini versichert hat, die subjektive Schwächen seines Debüts hinter sich gelassen hat.
Vielen lieben Dank an den Diogenes Verlag für das gewünschte Rezensionsexemplar!
Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann.
Schreibe einen Kommentar