Thema und Variation?
Ein Roman im Roman im Roman?
Oder doch ganz anders?
Der Titel “Leben ohne Folgen” hat mich thematisch einen anderen Roman erwarteten lassen. Natürlich geht es beim neuesten Roman des Schweizer Autors Roman Graf auch um Verantwortung und die Sinnfrage im Laufe eines (heutigen?) Lebens, aber die Thematik verändert sich im Laufe des Textes immer weiter, bis sich am Ende ein ganz anderes, unerwartetes Thema herauskristallisiert.
Einen kurzen Abriß des Inhalts kann ich dir diesmal gar nicht liefern, denn Graf arbeitet mit verschiedenen Romanfragmenten, die immer wieder neue, fiktive Protagonisten einführen und die so die Themen und Konflikte immer wieder neu durchleben, variieren und fortentwickeln. Und doch sind viele Figuren miteinander verwoben und verzahnt und kreisen um den Fixstern des fiktiven Schweizer Autoren Roberto Cotti. Manche Figur existiert gar nur in der Fantasie einer anderen.
Das Scheitern von Grafs Figuren ist definitiv ein großes Thema. Scheitern sie an den äußeren Umständen oder aus Gründen ihrer charakterlichen Veranlagung? Welche dieser beiden Faktoren könnten wirklich beeinflusst werden?
„Er warf sein Leben weg, weil er es nicht lebte; aber das Leben zu leben gelang ihm nicht, er wäre dabei nicht er selbst gewesen.“
Grafs Figuren scheinen im Verlauf des Romans zu reifen. Aus den zivilsationsverwöhnten Waschlappen werden verantwortungsvolle Väter, die das Einfache schätzen. Aus den lebensfremden Professoren werden praktische orientierte Lebenskünstler. In diesem Sinne könnte man “Leben ohne Folgen” als Entwicklungsroman verstehen. So scheint es mir zumindest, grundsätzlich fiel es mir schwer, ein wirklich zentrales Motiv zu erkennen.
Variationen eines Themas, aber welches?
Das in der Kurzbeschreibung versprochene Aufbrechen von Geschlechterrollen konnte ich nicht ausmachen. Außer wenn du es als Aufbrechen werten möchtest, wenn Väter ebenfalls für ihre Kinder (Söhne!) da sein möchten, sie wickeln, ihren Beruf für sie aufgeben und dadurch in finanzielle Abhängig geraten.
Die Figuren, deren Innenperspektive beschrieben wird, sind ausschließlich Männer und sie haben nur Söhne. Frauen sind Mütter, Antagonistinnen und manchmal Liebesobjekt.
Ich kann nicht sagen, dass ich die Lektüre genossen haben, sondern ich empfand die 450 Seiten als anstrengend und ermüdend und auf einer Wellenlänge, die schlecht bei mir resoniert hat. Oder eigentlich gar nicht.
„Leben ohne Folgen“ war daher trotz des wunderschöneren Covers für mich eine tendenziell langweilige Lektüre und weder auf unterhaltungstechnischer noch auf emotionaler Ebene bereichernd. Auch nach dem „Zusammenfügen des Puzzles“ für mich leider kein aussagekräftiger Roman.
Roman Graf hat an seinem neuen Roman über einen langen Zeitraum gearbeitet und das verschachtelte und verzahnte Spiel mit Thema und Variation ist sicherlich eine literarisch meisterliche Konstruktion.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Roman bei einer intellektuellen Leserschaft gut ankommen wird, zu dieser zähle ich mich aber eindeutig nicht.
Vielen lieben Dank an den Wallstein Verlag für das wunderschöne Rezensionsexemplar und natürlich Danke und viel Erfolg an Roman Graf für den Roman!
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