Ich hatte erst überlegt, ob ich „Mein letztes Jahr der Unschuld“ überhaupt lesen möchte, obwohl ich College Romane eigentlich gerne lese. Aber der Klappentext und der Buchtitel klangen nach einer Geschichte, die ich so schon öfter gelesen habe. Eine junge Collegestudentin hat eine Affäre mit ihrem Professor und ist durch das Machtgefälle und ihr misogynes Umfeld so gebrainwashed, dass sie erst allmählich bemerkt, wie sie von ihm manipuliert und benutzt wird.
Aber Florin überrascht mich mit einer weitaus komplexeren Geschichte und mit einem wundervoll vielschichtigen und sagenhaft lesenswerten Roman.
Wilder, ein College in New Hampshire, es ist 1998 und es ist der letzte Sommer der Unschuld.
Für die Ich-Erzählerin Isabel ist es das letzte Collegejahr und sie und ihre Freund*innen denken über ihre Zukunft nach. Doch Isabel zögert. Statt berufliche Pläne zu machen, möchte sie lieber in der Nähe des College und ihres Professors bleiben, mit dem sie eine heimliche und leidenschaftliche Affäre hat. Er versichert ihr, dass sie eine talentierte Schriftstellerin ist und will sie bei ihrem beruflichen Start unterstützen.
Im gleichen Sommer macht Bill Clinton in der Presse gerade Schlagzeilen wegen seiner Affäre mit Monica Lewinsky.
„Sie würden nie zugeben, mit Monica vögeln zu wollen, obwohl sie das wollten, natürlich wollten sie das, aber wenn sie es zugäben, wäre Monica schuld daran, nicht sie. Monicas sexueller Appetit machte sie als Frau vulgär.“
Florin lotet in ihrem Roman auf vielen Handlungsebenen ihre Themen aus. Eines davon, dass in vielen Spielarten immer wieder auftaucht, ist der sexuelle Consent, also das sexuelle Einvernehmen aller Beteiligten. Eine Frage, die in manchen Situation und Konstellationen nur schwer mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten ist.
Ein weiteres, damit zum Teil verbundenes Thema ist das Erwachsen werden/sein, was Florin wunderbar komplex und ohne gängige Coming-of-age Platitüden umsetzt.
Sind Erwachsene wirklich erwachsen?
„Mit zweiundzwanzig glaubte ich noch daran, dass Erwachsene Dinge taten, die vernünftig waren, und dass sie allein aufgrund ihres Erwachsenseins über Informationen verfügten, die ich nicht hatte. Nun dämmerte mir, dass dies nicht immer der Fall war.“
Die feministischen, unaufdringlichen Untertöne gefallen mir besonders gut, da sie nicht auf Polarisierung oder schwarz-weiß Malerei aus sind, sondern vielschichtig sind und mich nachdenklich machen.
„Was ich hasse, ist, dass es sich so anfühlt, als würde es uns nie wirklich gehören. Ich dachte, hier zu studieren würde bedeuten, gleichberechtigt zu sein, aber in Wirklichkeit ist es ihr Revier, und wir spielen nach ihren Regeln.“
„Mein letztes Jahr der Unschuld“ hat mir richtig gut gefallen. Es ist nicht nur auf Unterhaltungsebene ein Volltreffer, sondern fügt zu einer bekannten Geschichte neue und erfreulich vielschichtige Aspekte hinzu, was zeigt, dass manche Plots eben doch noch lange nicht aus erzählt sind.
Ein toller erster Roman von Daisy Alpert Florin! Ich hoffe sehr auf baldigen Nachschub!
Ein großes Dankeschön an den Eisele Verlag und Politycki & Partner für das Rezensionsexemplar mit diesem wundervollen Cover und viel Erfolg für Daisy Alpert Florin für ihre Veröffentlichung.
Übersetzt von Pociao und Roberto de Hollanda |
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