– Überlegungen zum Pelicot-Prozess
In diesem Sonderdruck „Mit Männern leben“ kannst du die Überlegungen von Manon Garcia zum Pelicot-Prozess lesen. Ich gehe davon aus, dass du, wenn auch vielleicht nicht im Detail, so aber doch in Grundzügen von dem Fall Gisèle Pelicot und den Vergewaltigungsprozessen in der Presse gelesen oder gehört hast.
Manon Garcia ist Professorin für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin und zählt in Frankreich zu den einflussreichsten und meistgelesenen Philosophinnen ihrer Generation.
Auch ihre hier vorliegenden Überlegungen würde ich grundsätzlich als philosophisch bezeichnen. Aber das Buch ist weitaus mehr als eine rein philosophische Betrachtung. Garcia verfolgte selbst den monatelangen Prozess im Gerichtssaal von Avignon und dokumentierte ihre Beobachtungen, die die Ausgangsbasis ihrer Überlegungen sind.
Sie mischt ihre Prozessbeobachtungen außerdem mit ihren eigenen persönlichen Erfahrungen mit Männern. Mit den Schrecken des Prozesses direkt vor Augen, mit dem, was Männern (ihren) Frauen antun, und mit Blick auf die Rolle der Frau in der patriarchalen Gesellschaft, stellt sie die Frage, die mich auch schon sehr lange beschäftigt: Können wir mit Männern leben?
“Es gibt ein Kontinuum der Gewalt, insbesondere der sexuellen Gewalt, und es gibt in der überwiegenden Mehrheit der Fälle ein Geschlecht der sexuellen Gewalt: Sexuelle Gewalt ist eine Gewalt von Männern, um ihre Herrschaft auszuüben.”
Garcia geht in ihren Überlegungen nicht nur auf Dominique Pelicot als Täter und seine gewaltvolle Familiengeschichte ein, sondern auch auf die anderen Männer, die mit ihm angeklagt wurden.
Mit Männern leben?
Besonders betroffen macht mich das fehlende Verständnis aller Angeklagten für das Prinzip der Zustimmung, das Garcia bei ihrer Prozessbeobachtung beschreibt und analysiert.
“Und das ist im Großen und Ganzen das, was in den meisten Vernehmungen zum Vorschein kommt: Einige glauben, dass der Ehemann für seine Frau zustimmen kann, andere, dass eine schlafende Person als zustimmend angesehen werden kann, und vor allem scheinen die meisten das Vokabular der Zustimmung erst mit ihrer Verhaftung und ihrem Prozess entdeckt zu haben.”
Manon Garcia gilt laut Autorinnenbeschreibung als eine der wichtigesten Feministinnnen der neuen Generation und genau deswegen wollte ich ihre Gedanken zu diesem Fall lesen.
Ich lebe mit Männern, ich arbeite mit Männern und ich liebe Männer. Gleichzeitig fürchte ich Männer und hasse Männer. In diesem Buch habe ich nicht die Lösung gefunden, diese Widersprüche aufzulösen, sondern vielmehr das Gefühl, dass es gesellschaftliche Probleme und Strukturen gibt, die nicht durch einen Prozess aus der Welt geschafft werden können.
“Kein Strafwesen wird umfassend, mächtig und effizient genug sein, damit Männer aufhören zu vergewaltigen.”
Ich finde in „Mit Männern leben“ schreibt Garcia sehr relevante Überlegungen für unser Zusammenleben nieder. Die Frage ist, ob sie gelesen und wahrgenommen werden und ob sie eventuell Veränderungen bewirken können. Ich fürchte, ich bin angesichts des Backlash der letzten Jahre einfach nur traurig und pessimistisch.
Natürlich möchte ich dir die Überlegungen von Manon Garcia weiterempfehlen. Alleine die Tatsache, dass sie niedergeschrieben und veröffentlich wurden, stimmt mich doch auch ein klein wenig optimistisch.
Vielen lieben Dank an den Suhrkamp Verlag für das gewünschte Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Manon Garcia für ihr Buch!
Aus dem Französischen von Andrea Hemminger
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