Eine Ferienanlage in Schottland. Holzhütten am See. Es regnet seit Tagen ununterbrochen. Bei den Urlaubsgästen macht sich der Lagerkoller breit.
Das ist die Ausgangslage des neuen Romans „Sommerwasser“ der britischen Schriftstellerin Sarah Moss. Sie entwirft darin in einzelnen Episoden eine kritische und unterhaltsame Gesellschaftsstudie. Denn ihre Urlaubsgäste sind äußerst unterschiedlich und stehen an verschiedenen Stellen in ihrem Leben.
Jedem ihrer Figuren widmet Moss ein oder mehrere Kapitel, in dem sie deren jeweilige Lebensituation und Gedankenwelt ausleuchtet. Es gibt Mütter von Kindern verschiedensten Alters, Teenager*innen und Kinder, ein altes Ehepaar, ein junges frisch verheirates Liebespaar. Alle mit ihrem jeweiligen Hintergrund und Problemen, die im Urlaub, abseits vom normalen Alltag, deutlich an die Oberfläche drängen.
„Sie hat zwei Erdnuss-Protein-Riegel in ihre Bindenpackung im Koffer gesteckt, der einzige Ort, an dem wohl kaum jemand suchen wird, und sie ist nicht zu stolz, um sie im Bad zu essen, wenn es sein muss.“
Jede*r wäre gerade am liebsten woanders als in diesem verregneten Urlaub, zur Untätigkeit gezwungen ohne Ablenkung von den eigenen Gedanken.
Und da sind dann noch die anderen. Die Bulgaren, oder Ukrainer, so genau weiß man das nicht. Nur dass sie stören mit ihrer Lautstärke und mit ihrem Anderssein.
Bezeichnenderweise hat Sarah Moss kein Kapitel oder Portärt für diese Urlaubsgäste und diese Leerstelle klingt laut.
Richtig gut gefallen mir die gesellschaftskritischen Anklänge, die Moss in ihren jeweiligen Porträts einfließen lässt. Die feministischen Untertöne sind leise, aber deutlich vorhanden. Auch Elternschaft, Partnerschaft, Generationenkonflikt und das Älterwerden wird thematisiert.
Facetten einer Gesellschaft?
Die Kapitel des jungen Liebespaares, einmal aus ihrer Sicht, einmal aus seiner Sicht, gefallen mir sehr gut. Hier wäre ich gerne länger geblieben und hätte beiden noch etwas länger verfolgen wollen. Dagegen finde ich die Kinder- und Teenager*innenperspektive eher weniger überzeugend. Moss kann mich damit nicht ganz packen. Tendenziell fühlte ich mich manchmal erschlagen von der Vielzahl der Perspektiven, weniger hätten mir auch gereicht um die Stimmung in der Ferienanlage zu skizzieren.
Langsam und sehr subtil unterschwellig zeigt Moss in „Sommerwasser“ die Vorurteile und Ressentiments, die in den Köpfen wachsen und in einem Klima von Aufeinanderhocken und gegenseitigem Beobachten prächtig gedeihen können.
Eine allgemeine Unzufiedenheit mit der gesamten und der persönlichen Situation wirkt als zusätzlicher Brandbeschleuniger.
Der Schlusspunkt ist so in gewisser Weise für mich vorhersehbar und ziemlich abrupt. Seine Dramatik empfand ich als überspannt, bildet aber einen guten und lauten Kontrast zur vorherigen leiseren Handlung.
Der Roman „Sommerwasser“ kann bei mir mit seinen treffenden Momentaufnahmen der Figuren und seiner Gesellschaftskritik punkten.
Vielen Dank, lieber Unionsverlag für dieses Rezensionsexemplar!
Aus dem Englischen von Nicole Seifert.
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