Du bist frustriert vom Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftwahlen? Von unserer deutschen Politik?
Du hast Sorgen wegen Krieg, Klimawandel oder dem reaktionären Backlash? Vielleicht ist aber auch einfach nur gerade deine Arbeit oder deine Familie blöd?
Dann ist „Umlaufbahnen“ das Buch der Stunde für dich. Denn beim Lesen des mit dem Booker Prize ausgezeichneten Romans von Samantha Harvey verlässt du die Erde und begegnest ihr aus einer ganz anderen Perspektive.
Du wirst in einer Raumstation zusammen mit 6 Astronaut*innen in jeweils 9-minütigen Umlaufbahnen um die Erde kreisen und dir ganz kleine und ganz große Gedanken machen. Kleine Gedanken, wie z.B. wer putzt die Toiletten auf einer Raumstation und große Gedanken über die Gleichzeitigkeit der Dinge.
Ein Motive, das Harvey dabei immer wieder aufgrifft, ist die Frage der Perspektive, die einmal beispielsweise an einem Gemälde von Velazquez, ein ander Mal anhand des Mondfotos von Collins diskutiert wird. Die Frage der Perspektive bestimmt, was ich sehe, was für mich im Zentrum steht und was ich vielleicht nicht sehen will.
Ja, ich würde sagen, Harveys Roman „Umlaufbahnen“ ist schon ein bisschen philosophisch. Was er nicht ist: ein Weltraum-Action Roman wie die Romane von Andy Weir oder vergleichbare Science Fiction Literatur.
Stattdessen lese ich nature writing der besonderen, nämlich der extraterrestrischen Art, in die ich mich fallen lassen kann, wie in einen milchstraßenähnlichen stream of consciousness.
Gleichzeitig gibt es konkrete Sätze, die wie für mich privat geschrieben und auf mich zugeschnitten scheinen.
Die 6 Astronaut*innen, von denen ich einige ein bißchen näher kennenlerne, fungieren vor dem unendlichen Weltall und der spektakulären Aussicht wie Nebenfiguren vor der eigentlichen Protagonstin: der Erde. Und sind wir dann nicht alle gleichzeitig als Erdenbewohner*innen die Protagonist*innen?
“Das Verlangen, nein, das inbrünstige Bedürfnis, diese riesige und zugleich winzige Erde zu beschützen. Dieses wundersame und auf bizarre Weise hübsche Ding. Das, in Ermangelung besserer Alternativen, so unverkennbar zu ihrem Zuhause geworden ist. Ein grenzenloser Ort, ein schwebendes Juwel, schockierend hell. Kann die Menschheit nicht in Frieden miteinander leben? Im Einklang mit der Erde?”
Der Roman ist groß, universell und fühlt sich unendlich an. Genauso wie ich mir das Weltall vorstelle, und zu groß um es mit meinem Vorstellungsvermögen fassen zu können.
Genauso wenig fassbar wie die Natur des Lebens und der Sinn unseres Daseins.
“Wir existieren in einer flüchtigen Blüte des Lebens und Wissens, unser Dasein ein hektischer Fingerschnipp, und dann war’s das.”
Eine wunderbare, überirdische Leseerfahrung, die ich allen erdenmüden Leser*innen gerne weiterempfehle!
Vielen lieben Dank an den dtv Verlag für das gewünschte Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Samantha Harvey für den Roman.
Eine tolle Übersetzungsarbeit aus dem Englischen von der Schriftstellerin und Übersetzerin Julia Wolf !
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