Liest du gerne dicke Bücher wie „Unser Teil der Nacht“? Ich eigentlich schon, auch wenn ich bei umfangreichen Wälzern das Hörbuch bevorzuge. Allerdings muss ich bei mehr als 800 Seiten schon wirklich gefesselt sein, damit es flutscht.

Aber einen Familiensaga mit Fantasy Elementen? Hört sich für mich eigentlich nicht nach verführerischem Lesestoff an, aber die Dunkelheit, die die Kurzbeschreibung von „Unser Teil der Nacht“ verströmt, hat mich dann doch angezogen. Ich hatte den Roman schon öfter hier in den Feeds gesehen und die Besprechungen waren meist begeistert. Und Mariana Enriquez verwendet das richtige Schmiermittel, denn die 832 Seiten flutschen. 

Enriquez teilt ihren Roman in verschiedene Kapitel mit verschiedenen Blickwinkel und Zeitabschnitten ein. Zeitlich umspannt ihr Roman mehrere Jahrzehnte in Argentiniens Geschichte von 1960-1997 und im Zentrum steht Juan, das Medium, und sein Sohn Gaspard. Es ist auch die Geschichte eines dunklen, mächtigen Geheimbundes, der jenseitige, widernatürliche Mächte anrufen will. Sie verehren die Dunkelheit, eine Macht, die sich im Medium offenbart und manifestiert. 

“Die Frage ist, ob sie für uns spricht oder nur in ihrer Hölle, ob das, was spricht, nur der Hunger über dem Abgrund ist. Ob sie mehr besitzt als die Intelligenz des Gewitters oder der Erde, wenn sie bebt. Ob da mehr ist als eine andere Blindheit, die uns nur erleuchtet vorkommt, weil wir sie nicht kennen.”

Ihre Rituale sind grauenhaft und voller Gewalt. Die Anführer*innen des Geheimbundes sind ebenfalls grausam und moralisch völlig verkommen in ihrer Anbetung der Dunkelheit.

Enriquez verwebt die Ereignisse der Familiensaga mit der jeweils aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation Argentiniens, das zeitweise von rechtskonservativen Millitärdikaturen und Unterdrückung beherrscht wurde.

Die Konsequenzen von rücksichtsloser Machtausübung und die Befreiung daraus ist das vorherrschende Motiv in Enriquez Roman und die hauptsächliche Handlungsmotivation ihrer Figuren. 

Kein klassisches Fantasy

Ihre Protagonist*innen sind leiderfahren und emotional verhärtet, was auch mir als Leser*in einiges abverlangt. In den zwischenmenschlichen Beziehungen gibt es im Schatten der Dunkelheit nur wenig Liebe und keinerlei Romantik, sondern es herrscht das Misstrauen, der Verrat und die Kälte.

Es gibt viele Szenen und Bilder voller brutaler und schockierender Gewalt, der ihre Figuren nur wenig entgegenzusetzen haben. Sie versuchen sich anzupassen und doch gibt es die Hoffnung und den Versuche sich zu befreien.

So sucht auch Juan, das Medium einen gefährlichen Weg um seinen Sohn Gaspard vor seinem Schicksal und dem Geheimbund zu verbergen…

Enriquezs Schreibstil ist auf hohem Niveau und ohne moderne oder selbstironsichen Einschläge, was den düsteren Charakter bestens widerspiegelt und die Ernsthaftigkeit der Geschichte unterstreicht. Mir hat das richtig gut gefallen und ich konnte perfekt in den langen und düsteren Roman eintauchen. 

Ich hätte mir im letzten Kapitel noch ungefähr 200 Seiten mehr gewünscht, denn nach der langen Exposition kam mir der Schluss und der letzte Showdown dann doch etwas zu plötzlich und zu gerafft. 

Also wenn du nach einen spannenden UND umfangreichen Roman suchst, möchte ich dir „Unser Teil der Nacht“ dringend ans Herz legen!

Erschienen 2022 beim Tropen Verlag.

Aus dem Spanischen von Inka Marter und Silke Kleemann.