Roman über Mütter und Töchter
Ach shit, das hat zum Schluss von „Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen“ jetzt ein bisschen wehgetan. Zum Glück lese ich meistens alleine, dann sieht niemand, wenn ich heulen muss.
Von Anna Brüggemann hatte ich schon den „Trennungsroman“ gelesen, der hatte mir ziemlich gut gefallen und ihren neuen Roman finde ich fast noch besser.
Das liegt natürlich auch daran, dass Brüggemann und ich zur selben Generation gehören und das Geflecht aus Müttern und Töchter, das sie in ihrem Roman abbildet, auch ziemlich gut mit meiner Lebensrealität übereinstimmt. Okay, bei mir zu Hause ging es nicht ganz so bildungsbürgerlich zu und auch nicht so wohlhabend, aber meine Mutter ist genauso ein Kind der Nachkriegszeit, wie die Mutter Regina in. Brüggemanns Roman.
Und Regina hat es geschafft. Sie hat sich aus einfachem Elternhaus eine für Frauen damals unübliche Bildung angeeignet und einen akademischen Beruf ergriffen. Ein gut verdienender und gut situierter Ehemann machten den Aufstieg ins Bildungsbürgertum komplett.
Frauenroman? Nein, ein Roman über Frauen!
Mit ihrem Mann hat sie zwei wohlgeratenen Töchter, Wanda und Antonia, die gerade auf das Abitur zugehen. Zu diesem Zeitpunkt, Ende der 90er, setzt die Handlung von Brüggemanns Roman ein. Sie schreibt abwechselnd aus der Perspektive der drei unterschiedlichen Frauen und ich werde sie durch die Jahrzehnte begleiten.
Diese ausgedehnte Zeitspanne macht „Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen“ wirklich besonders. Es ist als verfolge ich die beiden Schwestern und ihre Mutter durch das Leben. Durch ihre Krisen und schönen Momente, bei ihren Zweifeln und bei ihren Überlegungen. Und ich erkenne viele der mir bekannten Mechanismen aus Mütter-Töchter Beziehungen. Regina, die sich in ihrer harten Jungend alles selbst erarbeiten musst, hat leicht narzistische Tendenzen. Sie möchte aufholen, wo sie an Aufmerksamkeit und Anerkennung immer zu kurz gekommen ist. Ihre Töchter leiden unter den hohen Leistungsanforderungen, die sie an sie stellt. Bei der perfektionistisch veranlagten Wanda führt dieser Anspruch in eine Essstörung. Auch beruflich verausgabt Wanda sich stark, um dem Erfolgsanspruch ihrer Mutter gerecht zu werden.
Antonia, immer schon die weniger beachtete Tochter, schlägt einen anderen Weg ein. Sie wird ungeplant alleinerziehende Mutter aus einer Affäre.
Mit großem Einfühlungsvermögen und ohne jede Anklage beschreibt Brüggemann die Gefühle und die Psychologie ihrer Figuren. Sie wirken manchmal vielleicht ein bißchen stereotyp, aber stehen so auch übergreifend für einen ganze Generation der klassischen westdeutschen Familie der oberen Mittelschicht. Brüggemann zeigt die Kraft und die Auswirkungen von Geschlechterrollen und gesellschaftlichen Konventionen, die unseren Lebensweg so oft bestimmen.
Geschlechterrollen und ihre Folgen
Im Laufe des Romans und ihres Lebens bekommen Regina, Antonia und Wanda immer mehr Profil und Tiefgang. Sie werden älter, es entstehen Konflikte, Verdrängtes dringt an die Oberfläche und den Frauen stellt sich zu unterschiedlichen Zeiten die Frage: Was will ich eigentlich noch vom Leben?
Die Gestaltung der Beziehungen untereinander spielt dabei eine wichtige Rollen, denn irgendwann wird klar: Die Lebenszeit ist endlich und rückt unentwegt voran, ob wir wollen oder nicht.
„Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen“ ist wirklich ein ganz toller und für mich sehr emotionaler Roman über Mütter und Töchter, der mich berührt und beschäfftigt hat. Große Leseempfehlung!
Und ein großes Dankeschön an die Ullstein Buch Verlage für das wunderbare Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Anna Brüggemann für den Roman!
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