„Ich liebe ihn. Wirklich. Aber ich glaube, dass irgendwann etwas aus dem Ruder gelaufen ist.“
Aus dem Ruder gelaufen.
Eine wahrhaftig großartige Untertreibung für das, was im Leben der Figuren von Dieudonné schief läuft und was die Geschichten in „23 Uhr 12“ alle gemeinsam haben.
„Ein Roman in zwölf Geschichten“ steht auf dem Cover. 12 unterschiedliche Menschen (und ein Pferd) mit den unterschiedlichsten Backgrounds treffen aus unterschiedlichen Gründen nachts um 23 Uhr 12 auf einer Autobahnraststelle zusammen. Dieudonné schreibt aus 12 verschiedenen Perspektiven lose zusammenhängende Geschichten, die von den mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen erzählen, die Kontrolle über das eigene Leben zu behalten.
Von Beziehungen, die so toxische sind, dass es manchmal einen Befreiungsschlag braucht, um sich daraus zu lösen.
Okay, ich glaube auf keinen Fall, dass es nachts auf Autobahnraststätten so aufregend ist, wie es Dieudonné in „23 Uhr 12“ beschreibt.
Und ich glaube auch nicht, dass es möglich ist, dass sich derart viele Personen (und ein Pferd) aus dem Kuriositäten-Panoptikum durch Zufall an einem Ort versammeln.
Wie kurios ist dein Leben?
Und hier setzt bei mir das Nachdenken ein: haben wir nicht alle eine einzigartige Vorgeschichte? Tragen wir nicht alle merkwürdige Ereignisse und Verletzungen in uns, sind vielleicht in unserem Beruf oder in unseren Beziehungen verzweifelt und sehnen uns nach Befreiung?
Dieudonnés Geschichten sind abgefahren, skurril, zum Teil stark überzeichnet, aber auch anrührend und ergreifend.
Das macht mir als kleines Lesevergnügen für Zwischendurch sehr großen Spaß und ich bin froh, dass ich das Büchlein in meiner Bücherei entdeckt hatte. Nach „Das wirkliche Leben“ von Dieudonné wollte ich unbedingt weitere Texte der Autorin lesen.
„23 Uhr 12“ erreichte für mich nicht die psychologische Tiefe, die „Das wirkliche Leben“ so stark ausgezeichnet hat, dafür sind die einzelenen Geschichten einfach zu kurios und zu kurz. Sie sind aber dafür aufregend, gnadenlos unterhaltsam und gut konsumierbar. Eine perfekte kleine Ablenkung, wenn schon kein tiefergehendes Highlight.
Erschienen 2022 beim dtv Verlag, Übersetzt von Sina de Malafosse
Von der belgischen Autorin wird übrigens nächstes Jahr ein neuer Roman („Bleib“) beim dtv Verlag erscheinen, den ich natürlich schon auf der Wunschliste habe!
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