Die Lektüre von Ariana Harwicz‘ Roman „Stirb doch, Liebling“, mit dem die argentinische Autorin international bekannt geworden ist, hat mich aufgewühlt und ziemlich verstört. Aber sie hat mich auch mit ihrer Rohheit und literarischen Qualität fasziniert, so dass ich auch den neuen Roman „Kopflos“ der Schriftstellerin lesen wollte.
Was soll ich sagen: Auch „Kopflos“ hat mich angesichts der darin beschriebenen toxischen Beziehung wieder gleichermaßen verstört wie fasziniert. Wieder ist Harwicz Text voller Wahnsinn, voller Hass, voller Sex und voller Gewalt.
Wenn auf dem Klappentext steht „Kopflos“ sei die Geschichte einer Entführung, greift diese Inhaltsbeschreibung zu kurz.
Für mich war „Kopflos“ die Geschichte eines Kampfes zwischen einem (ehemaligen?) Liebespaar, den sie über die gemeinsamen Kinder austragen.
Er beginnt damit, dass Lisa, die Erzählerin mit ihren beiden Zwillingen auf der Flucht ist. Sie hat sie einfach mitgenommen, also entführt, denn eigentlich ist ihr der Kontakt zu ihren Kindern streng untersagt. Das Sorgerecht hatte sie nach der Trennung von ihrem Mann verloren.
Lisa ist eine sehr unzuverlässige Erzählerin, die von den verschiedensten Emotionen getrieben ist. Liebe, Hass, Eifersucht und Angst bilden eine leicht entzündbare Mischung. Und das im wortwörtlichen Sinn.
Aber auch ihr Mann, der sie verfolgt, um die Kinder zurückzuholen, hat keinesfalls die moralische Oberhand. Er steht im Schatten seiner Eltern, die er zufrieden stellen möchte.
Aus Rückblenden erfahre ich, wie belastet und toxisch die Beziehung des Paares schon vor der Geburt der Zwillingssöhne war.
Harwicz zeichnet ein Menschenbild, das absolut düster und defätistisch ist. In dem eine Liebesbeziehung eine toxische Zweckgemeinschaft voller gegenseitiger Abhängigkeit ist und zum Scheitern verurteilt.
„Im menschlichen Herz ist der Wunsch zu zerstören so groß, so laut, dass nichts ihn stoppen kann“
Der fast surreal und gewalttätig Kampf um die Kinder kann stellvertretend für die vielen Paare stehen, die sich vor Gericht zerfleischen und vor allem eines nicht mehr im Blick haben: nämlich die Kinder.
Die Kinder sind auch die großen Leidtragenden in Harwicz‘ Geschichte, doch ihr Leid ist eine nicht ausgefüllte Leerstelle, die vor dem Wahnsinn ihrer Eltern verschwindet und nur von mir als Leserin mitgedacht wird. Ja, das finde ich schon sehr verstörend.
Genauso wie in „Stirb doch, Liebling“ zeigt Harwicz auch in ihrem neuen Roman, wie Frauen* von den Zuschreibungen und den Anforderungen durch ihre Mutterrolle eingeengt und reduziert werden. Ihre Erzählerinnen brechen gewaltvoll und radikal mit den üblichen Frauenbildern. Deshalb ist der Roman für mich auch wieder eine aufregende und widerborstige feministische Lektüre.
Eine Weiterempfehlung für „Kopflos“ würde ich allerdings wieder nur unter Vorbehalt aussprechen.
Vielen lieben Dank an C.H.Beck Literatur für das gewünschte Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Ariana Harwicz für ihren neuen Roman!
Aus dem argentinischen Spanisch von Silke Kleemann
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