In „Bevor es geschah“ geht es um vier erwachsene Geschwister und ihre Ehepartner*innen und Kinder. Um ein Familienfest im Garten ihrer High Society Mutter und natürlich sehr viele unausgesprochene Familiengeheimnisse aus Gegenwart und Vergangenheit.
Klingt nach den perfekten Zutaten für eine unterhaltsame Urlaubslektüre und hat für mich als solche prima funktioniert. Auf jeden Fall gibt es einige Stereotype, aber das gehört zu diesem fast klassischen Setting fast schon dazu und Spierer füllt mit viel Leben und Tiefgang gefüllt.
Da ist der längst verstorbene Patriarch der Familie Alastair, der den finanziellen Wohlstand und das gesellschaftliche Ansehen erwirtschaftet hat. Er hatte damals mit Elisabeth eine junge, hübsche und fügsame Frau aus einfachen Verhältnissen geheiratet und war während der Ehe nie wirklich treu. Sie ist heute das moralische Oberhaupt der Familie. Ihre Kinder, Rose, Jaqueline, Winston und Sean fürchten noch immer die Missbilligung der Matriarchin, obwohl sie längst erwachsen sind und eigene Kinder haben.
Da ist die blutjunge und nervöse Partnerin von Sean, die vor den Augen der vermeintlich perfekten Familie bestehen möchte aber ihr eigenes Geheimnis mitbringt. Jaqueline, die das Fest ausrichtet und deren Mühen um perfekte kulinarische Köstlichkeiten weder erkannt noch gewürdigt werden.
Nicht nur ein dunkles Familiengeheimnis
Und da sind noch die anderen mit ihren Geheimnisse, Rivalitäten und Problemen und sind so mit sich und ihrer Fassade beschäftigt, dass niemand bemerkt, dass ein kleiner Junge leblos im Pool treibt…
Die in Genf geborene und auf französisch schreibende Céline Spierer schafft ein atmosphärisches und amerikanisches Familienproträt, dass auf mehreren Zeitebenen spielt. Das Fest wird immer wieder von kleinen Rückblenden in die Vergangenheit der einzelnen Familienmitglieder unterbrochen, was für eine langsam steigende Spannung sorgt. Es zeigt sich, dass hinter jeder perfekten Fassade abgründige Geheimnisse lauern, die an die Oberfläche drängen. Für ich persönlich sind die Geheimnisse jetzt weniger überraschend, da ich ähnliche Konstruktionen bereits aus anderen Romanen kenne und Spierer erfindet das Genre nicht neu. Allerdings finde ich, dass Spierer den ziemlich klassischen Plot mit psychologischen Tiefgang und einer erfreulichen feministische Komponente wirklich sehr unterhaltsam und erfrischend aufwertet.
Gerade die weiblichen Figuren der Matriarchin Elisabeth (“Untergeben, folgsam, unscheinbar“) und ihrer Tochter Rose gefallen mir. Sie entwickeln beide auf völlig unterschiedliche Art eine große Widerstandskraft gegen die verletztende und einengende Macht ihrer männlichen Unterdrücker der Vergangenheit.
„Was eine Frau ertragen kann, aus Angst oder aus Liebe, hat Grenzen […]”
„Bevor es geschah“ war für mich ein wunderbarer Roman für den Urlaub, bei dem ich die Figuren und die Geschichte wie in einer Verfilmung perfekt vor meinem geistigen Auge ablaufen sah. Das liegt insofern auf der Hand, als dass Spierer einen Bachelor Abschluss im Drehbuchschreiben hat. „Bevor es geschah“ ist ihr erster auf Deutsch erschienene Roman, aber ich hoffe auf weiteren Stoff der Autorin oder auf eine Übersetzung ihres Debüts „Le Fil rompu“.
Vielen lieben Dank an den Kein & Aber Verlag für das gewünschte Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Céline Spierer für den Roman!
Aus dem Französischen von Sina de Malafosse
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