Was ist denn mit dem Lorenz los?
Der gutmütige Lehrer Anfang 40 attackiert plötzlich einen unangenehmen Kollegen, der ihn provoziert. Ganz untypisch kann er seine unterdrückten Aggressionen nicht mehr zügeln und gerät in Schlägereien. Sein Umfeld reagiert mit Unverständnis
„Und dass da wirklich viel Scheiß grad passierte auf dem Planeten, das war ja alles einleuchtend, aber dass er deswegen so infantile Auszucker …“
Denn der Lenz verspürt ein Unbehagen.
Du kennst dieses Unbehagen vielleicht auch. Das Unbehagen, wenn du dich umschaust und den ganzen Konsum siehst, während unser Planet vor die Hunde geht. Das Unbehagen angesicht der Werbung für Shapewear und Kollagenmasken auf Instagram, während Rechte vom Rande der Gesellschaft die Mitte erobern.
Und bei dem Lenz kommt noch ein ganz persönliches Unbehagen dazu. Und zwar das Gefühl, die falschen Lebensentscheidungen getroffen zu haben.
Er ist geschieden und hat eine Tochter im Teenageralter und sein Leben läuft in eigentlich in geordneten Bahnen, doch seine Träume aus der Jugend hat er nicht verwirklicht.
„Er war im Erwartbaren geblieben.“
Zum Glück sind gerade Ferien und der Lenz beschließt, erst mal auszusteigen. Er will in den Bergen nach seiner alten Jugendfreundin Theresa suchen. Hat sie etwas mit den Berichten über eine rätselhafte Bestie zu tun, die in den Bergen sein Unwesen treiben soll und Menschen und Tiere zerreißt?
Also steigt der Lenz auf in Abgeschiedenheit der Berge, genau dahin, wo die mysteriöse Gestalt wüten soll…
Thomas Arzt packt thematisch unglaublich viel in seinen handlungsreichen Roman, der in der zweiten Hälfte wie ein Spannungsroman gestaltet ist. Ich würde schon sagen, dass er eine typische männliche Midlifecrisis beschreibt, inklusive nostalgischer Verklärung der Vergangenheit.
Aber es steckt noch mehr hinter Lorenz persönlicher Krise und seinem Gefühl von Unbehagen. Arzt schreibt von dem um sich greifenden und wachsenden Gefühl der Unzufriedenheit und des Überdrusses angesichts unserer überfordernder Zeit.
wer spürt alles ein Unbehagen?
Die mysteriöse und wilde, fast mystische Figur der Theresa sehe ich als eine Art Verweigerungsphantasie, die Antithese zu Lorenzs angepassten Lebensstil. Als die Verkörperung von Lorenz’s Aussteigerträumen und einer ursprünglicheren Natur ohne die Fesel der Zivilisation.
Ich mag diese gesellschaftskritischen Ansätze und auch die philosophischen Einwürfe sehr gerne, die in die Richtung der Frage gehen: gibt es ein richtiges Leben im Falschen? Arzt verwendet viele Bilder, die die Gefühlswelt von Lenz untermalen. Die sich in der Wohnung ausbreitenden Würmer seiner Kompostierbox unterstreichen beispielsweise das sich in seinem Kopf ausbreitende Unbehagen, seinen Kontrollverlust und das Ausbrechen der Natur.
Weniger gut gefallen haben mir allerdings die Spannungselemente des Romans. Die hochgelegene Berg- und Hüttenwelt und ihre Bewohner überspitzt Arzt so stark, dass sie zur Karrikatur werden. Außerdem verwendet er ständig ein foreshadowing, das sich irgendwie meiner Meinung nach nie richtig einlöst, nicht einmal während der Höhepunkte des Bergabenteuers.
Auch die literarische Bearbeitung der Frage, wer hier eigentlich die Bestie ist, der Mensch oder der Wolf, hatte ich in letzter Zeit schon in spannenderer und stimmigerer Ausführung gelesen, beispielsweise in „Hundswut“ oder in „Von Norden rollt ein Donner“.
Nach dem Schluss des Romans bin ich dann auch nicht wirklich zufrieden, sondern es bleibt ein, vielleicht beabsichtigtes Unbehagen.
Ingesamt war „Das Unbehagen“ für mich also ein Roman, der mich persönlich als Spannungsroman und auf der Unterhaltungsebene nicht wirklich überzeugt hat, der aber mit seiner Gesellschaftskritik und dem tollen Setting in den Bergen punkten konnte.
Vielen lieben Dank an den österreichischen und unabhängigen Residenz Verlag für das Rezensionsexemplar mit dem wunderschönen und düsteren Cover. Danke und viel Erfolg an Thomas Arzt für den Roman!
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