Der Schlächter von Joyce Carol Oates

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Der Schlächter Joyce Carol Oates Rezension

Auch wenn der „Babysitter“ jetzt nicht unbedingt mein Lieblingsbuch der Autorin wurde, musste ich bei „Der Schlächter“ zugreifen.

Der Titel und die Kurzbeschreibung weckten Erinnerungen an Oates „Zombie“, einen so heftigen und brutalen Roman, dass ich ihn vielleicht sogar lieber nicht gelesen hätte.

Ich war also mental auf alles vorbereitet.

Und ja, es gibt in „Der Schlächter“ sehr viele, sehr drastische und unerträglich bildlich beschriebene blutige Szenen, aber nicht auf dem Level der brutalen Sinnlosigkeit von „Zombie“.

Außerdem liegt das eigentliche Grauen nicht in der Beschreibung der Gewalt, sondern in der Gleichgültigkeit und dem misogynen Mindset, mit der sie den Frauen angetan wird.

Die von Oates gewählte Erzählform finde ich, anders als vielleicht in „Babysitter“, sehr abwechslungsreich und gelungen. Gestützt von einem äußeren Rahmen in Form einer vorgeblichen Biografie über Dr. Silas Weir, geschrieben von seinem ältesten Sohn, lässt sie verschiedene Akteure in Form von Briefen, Tagebucheinträgen und anderen Textformen zu Wort kommen.

Das sorgt für Abwechslung und eine gewisse Spannung.

Als Leserin verfolge ich so den Werdegang des Arztes und seine spätere Tätigkeit als Direktor der Heilanstalt für weibliche Geisteskranke.

Dabei ist die Figur des Silas Weir, die lose auf echten historischen Tatsachen basiert, ein echtes Kind seiner Zeit. Frauen sind für ihn das „andere Geschlecht“ und natürlich dem Manne in allem unterlegen, auch in der Physis. Dazu hat er große Probleme mit seinem Selbstwertgefühl, was sich später allerdings ins Gegenteil wandelt. Er hat nicht nur als Arzt zwei linke Hände und ist leider komplett unfähig, ihm fehlt auch jede Empathie für andere, vor allem für Frauen.

Wer ist hier geisteskrank?

Doch als weißer Mann mit der entsprechenden Verwandtschaft fällt er trotzdem die Karriereleiter nach oben und hat entsprechend Einfluss und Macht. Als Direktor der Heilanstalt trachtet er danach, seinen Ruf als Experte für Gynäkologie und Psychiatrie zu festigen. Sein Hunger nach Anerkennung ist so groß, dass er auch vor unorthodoxen chirurgischen Experimenten nicht zurückschreckt.

Vor allem die Patientinnen, die am Rande der Gesellschaft stehen, sind im Hilflos ausgeliefert. Sog. „Frauenleiden“ sind der damaligen Vorstellung eng mit Geisteskrankheit verknüpft und stark tabuisiert. Die Behandlungsmethoden grausam, menschenverachtend und sinnlos.

Damit greift Oates in „Der Schlächter“ ein wichtiges Thema auf, das bis heute in Form von medical gender gap und medical Gaslighting fortbesteht.

Du findest auch noch weitere stark gesellschaftskritische Ansätze. Die beginnende Abolitionsbewegung in den USA hat ehemalige versklavte Menschen nur dem Namen nach in sogenannte ‚Dienstschuldner‘ verwandelt, die genauso gekauft und unbezahlt ausgebeutet werden können. So arbeiten in Dr. Weir viele dieser Dienstschuldner*innen und sind dem autoritären Regime des Arztes ausgeliefert.

Oft bin ich beim Lesen wütend angesichts der großen Ungerechtigkeiten und des immensen Leids, das Oates schildert, vor allem, da ich weiß, dass der Roman leider auf historischen Tatsachen beruht und leider auch nicht auf Einzelfällen.

Ich fand „Der Schlächter“ auf jeden Fall wieder einen sehr starken und aufregenden Roman der Autorin und ich habe ihn richtiggehend verschlungen.

Aus dem Englischen von Silvia Morawetz

  • Joyce Carol Oates
  • Der Schlächter Joyce Carol Oates Klappentext

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