Die amerikanische Autorin Joyce Carol Oates hat mich früher viele Jahre intensiv begleitet. Ihren Roman „Blond“ las ich in seinem Erscheinungsjahr 2000 und er war einer der Schlüsselromane in meinem Leben. Er war sehr wichtig für meine feministische Entwicklung und formte mein Interesse für die Literatur von Frauen und aus den USA (Nebenbei löste „Blond“ bei mir eine MM-Mania aus, but let’s not talk about that….).
Ihre späteren Roman las ich gerne, konnten mich aber nicht mehr in der Art faszinieren (außer vielleicht „Zombie“, but also let‘s not talk about that…).
Jetzt der „Babysitter“.
Der umfangreiche Roman spielt durchgängig in Detroit im Jahr 1977. Da JCO eine unbestreittbare Meisterin des Erzählens ist, bin ich selbst in Detroit der 70er. Und zwar in einem langen Hotelflur im 61. Stock des Renaissance Grand und suche das Zimmer 6183…
Wer J. C. Oates kennt, weiß, dass Plotzusammenfassungen das Erleben ihrer Literatur nur unzureichend wiedergeben kann.
Ich könnte jetzt schreiben, dass die Protagonistin Hannah heißt, zwei kleine Kinder hat und unglücklich verheiratet ist. Dass sie gerade dabei ist, in einem Hotel eine Affäre mit einem Unbekannten zu beginnen.
Oder dass in Detroit und in seinen Vororten ein als „Babysitter“ bekannt gewordener Täter, Kinder entführt, missbraucht und ermordet.
Aber das würde suggerieren, es gäbe eine linear erzählte Handlung. Joyce Carol Oates arbeitet anders. Sie arbeitet mit lose zusammenhängend erzählten Situationen, mit plötzlichen Perspektivwechseln, mit eingestreuten Stimmen. Immer ganz nah dran, immer ganz intim, immer ganz tief in der Gedankenwelt der Figur.
Ich finde in „Babysitter“ das ganze stilistische und schriftstellerische Können von Oates, das mich auch in „Blond“ so begeistert hat.
Ich liebe das freie Assozieren, das direkte Erleben ohne Interpretationsdruck, das mir durch ihre Erzählweise ermöglicht wird.
Inhaltlich hat mich Hannahs Geschichte allerdings nicht überzeugen können und das Level an wiederholter und sinnloser Gewalt, das sie erfährt, überschreitet für mich die Grenze zum Toture Porn. Das liegt sicher in der Intention von JCO, war für mich aber irgendwann redundant.
“Sie hat ihr Recht, sich zu widersetzen, verspielt. Sie ist zerbrochen worden, beschmutzt – und aufs Geratewohl repariert, eine empfindliche Vase, deren zerbrochene Teile ungeschickt zusammengeleimt worden sind.”
„Babysitter“ hatte auf mich nicht die Wirkung, die „Blond“ vor fast 25 Jahren auf mich hatte. Ich lese „Babysitter“ als etwas artifiziellen Roman, nicht als feministischen Aufreger, mit dem ich relaten kann. Diesen Platz haben mittlerweile andere, zeitgenössischere Schrifsteller*innen bei mir eingenommen, wie du in meinem Feed gut erkennen kannst. Auch als Spannungs- oder gar Unterhaltungsroman ist „Babysitter“ nur sehr bedingt geeignet.
Wenn du noch nichts von der Autorin gelesen hast, würde ich dir „Babysitter“ wahrscheinlich nicht empfehlen, sondern dir zum zeitlosen „Blond“ raten.
Vielen lieben Dank, lieber Ecco Verlag (Harper Collins) für das lange erwartete Rezensionsexemplar!
Aus dem amerikanischen Englisch von Silvia Morawetz.
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