von Cordelia Edvardson
Lange starre ich auf das Coverporträt von „Gebranntes Kind sucht das Feuer“. Es zeigt die Autorin Cordelia Edvardson als junges Mädchen und etwa in dem Alter, als sie ins Vernichtungslager abtransportiert wurde.
Die autobiografischen Erinnerungen von Edvardson, die 1929 in München als Dreiviertel Jüdin geboren wurde, erschienen bereits 1984 erstmalig und wurden ins Deutsche übersetzt.
Doch viele Jahre war das Werk vergriffen und nur wenig beachtet, was Daniel Kehlmann in seinem Nachwort ein schweres Versäumnis der Erinnerungskultur nennt. Er ordnet den Text in die Kategorie der bleibenden Holocausterinnerungen ein.
Cordelia Edvardsons Mutter war die berühmte und sehr katholische Schriftstellerin Elisabeth Langgässer. Sie gibt ihre Tochter der Judenverfolgung und der Deportation preis. Dieser Verrat verändert das Leben von Edvardson für immer in schrecklichster Weise und wird die beiden für immer entzweien.
Edvardson beschreibt in sehr hoher literarischer Qualität von ihrer Kindheit und Jungend, in der sie, unehelich geboren und in schwierigen familiären Verhältnissen aufwachsend, sich schon immer als anders empfunden hat. Den Verrat der Mutter empfindet sie fast als folgerichtig.
Der Schreibstil von Edvardson ist sehr distanzwahrend. Sie verwendet keine Ich-Erzählperspektive, sondern beobachtet das Mädchen und später die Frau mit fast neutraler Haltung.
Die Erzählung ist nur grob chronologisch sortiert und springt öfter auf der Zeitebene.
erzählerische Distanz als Schutz vor dem Grauen
Die Schilderungen des Mädchens aus den Vernichtungslager Theresienstadt und später Ausschwitz, sind furchtbar. Mich überrascht und entsetzt das Ausmaß der sexuellen Ausbeutung und Gewalt durch die männlichen Aufseher, für deren Verrohung und Triebbefriedigung keinerlei Grenzen mehr gelten.
Die Lager sind Orte der seelische Entleerung, menschliche Wüsten und gekennzeichnet hauptsächlich durch Abwesenheit, dort existiert:
“Niemand, kein Mensch und kein Ding, kein Leben und auch kein Tod, keine Schuld und kein Glaube, keine Hoffnung und keine Liebe. Am allerwenigsten Liebe“
Das Mädchen wird das Lager überleben, nach Schweden gehen und dort leben. Später, als Frau, siedelt sie nach Israel, über.
„Wir spüren, wie der Boden unter unseren Füßen nachgibt und treten noch einen Schritt auf den Abgrund zu. Deshalb leben wir. Wir schenken Leben und unsere Kinder werden mit der Nabelschnur erdrosselt. Bis ins dritte und vierte Glied.“
Als sehr besonders möchte ich das Nachwort von Daniel Kehlmann hervorheben, der mir mit Hintergrundinformationen beim Zugang des für mich nicht einfachen Romans sehr half.
Ich empfand seine Einordnungen als extrem wertvoll und als Handreichung über den Graben der Distanz zwischen mir und der Autorin.
Cordelia Edvardson starb 2012 in Stockholm. Ihre Mutter hat sie nach dem Ende des Krieges nur noch einmal getroffen.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein.
Das Hörbuch wird gesprochen von der Schauspielerin Nina Kunzendorf. Das Nachwort von Ulrich Noethen.
Vielen Dank an Argon Verlag und Netgalley für das digitale Version des Hörbuches.
„Gebranntes Kind sucht das Feuer“ erschien bei Hanser Literatur.
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