Kevin Shih-Hung Chen(陳思宏) ist ein in Taiwan geborener Schriftsteller und Journalist, dessen Karriere allerdings als Schauspieler begann. Er hat bereits sieben Bücher in China und Taiwan veröffentlicht, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Heute lebt und arbeitet der Autor in Berlin.
Auch sein Roman „Geisterdämmerung“ bewegt sich zwischen Taiwan und Deutschland und ist insgesamt das Porträt einer dysfunktionalen Familie.
Der jüngste Sohn Tianhong dieser Familie war nach Deutschland gezogen, hat sich dort verliebt und geheiratet.
Allerdings hat er seinen Mann ermordet und kam deswegen für einige Jahre ins Gefängnis.
Als Tianhong nach seiner Gefängnisstrafe in sein Heimatdorf Yongjing in Taiwan zurückkehrt, hat sich in der ländlichen Region viel verändert. Auf den Chrysanthemenfeldern seiner Erinnerung stehen nun verwahrloste Motels, Unkraut wuchert und der lokale Markt wurde durch einen Supermarkt ersetzt
Die Eltern sind tot und die Leben seiner Schwestern und seines Bruders sind weitergelaufen und haben sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt.
Unglücklich und gescheitert sind sie alle.
Die dritte Tochter Shuqing wurde zwar als Kind bevorzugt behandelt, ist aber als Erwachsene von großem Selbsthass zerfressen und hat einen brutalen und lieblosen Ehemann, der sie schlägt.
Sujie hat nach einem verstörenden Vorfall in der Kindheit vermutlich ein Angststörung und verlässt nicht mehr das Zimmer oder öffnet die Vorhänge. Seit Jahren. Wie lebendig begraben. Oder wie ein Geist.
Shumei lebt prekär und hasst ihren Ehemann.
„Ihren Mann mit eigenen Augen sterben zu sehen, war Shumeis größter Ansporn, selbst weiterzuleben.“
Die jüngste Schwester hat vor vielen Jahren Selbstmord begangen.
„Wie konnte nur so etwas passieren? Kein einziges der Chen-Kinder hatte es mit der Heirat gut getroffen. Was war nur geschehen, dass Tianhong sogar zum Mörder geworden war?“
Es sind die vielen lange verborgenen Familiengeheimnisse und vergessenen Erinnerungen, die Kevin Chen nach und nach In Rückblenden am Tag von Tianhongs Rückkehr entschlüsselt. Es ist auch der Tag des Geisterfestes, der die Rahmenhandlung für die Zusammenführung der Geschwister bildet.
Werden die Geheimnisse in der Geisterdämmerung gelüfttet?
Stilistisch ist das sehr raffiniert erzählt, denn es kommen nicht nur die Lebenden in wechselnder Besetzung zu Wort, sondern auch die Geister.
„Auf dem Land wimmelte es von Geistern, die in den Erzählungen der Menschen lebten.“
Mosaikförmig setzt sich so ein Bild der Vergangenheit und der Ereignisse zusammen, die in der Gegenwart immer noch lange Schatten werfen.
Verbotene und versteckte Homosexualität ist dabei ebenso ein Thema wie Missbrauch, gewalttätige Beziehungen und soziale Ungerechtigkeit.
Trotz der vielschichtigen Themen, die Chen aufgreift, fällt der Roman für mich nur in die Kategorie „mittelmäßig gerne gelesen“. Seine Erzählweise und die Vermittlung des Inhalts war mir persönlich oft zu grob und ungenau. Auch den Figuren hätte meiner Meinung eine genauere Beobachtung ihrer Motivation und inneren Gefühlswelt gut getan.
In Kombination mit dem umfangreichen Figurenarsenal hatte der Roman dadurch für mich einige Längen, obwohl er abwechslungsreich und geschickt aufgebaut ist. Dass ein hilfreiches Personenverzeichnis am Ende angehängt ist, hatte ich dann leider erst nach dem Lesen bemerkt.
Vielen lieben Dank an den unabhängigen Verlag Matthes und Seitz Berlin für das gewünschte Rezensionsexemplar von „Geisterdämmerung“. Danke und viel Erfolg an Kevin Chen für seinen Roman!
Aus dem Chinesischen von Monika Li.
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