Oder das gestohlene Glück
Das Hörbuch „Mameleben“ reiht sich für mich zwischen „Die Postkarte“ von Anne Berest und „I`m glad my mom died“ von Jenette McCurdy ein und ist doch komplett anders und unvergleichlich.
Der Autor, Regisseur und Produzent Michel Bergmann wurde 1945 als einziges Kind einer aus Deutschland geflüchteten Jüdin geboren und ist in Paris aufgewachsen. In seinem sehr persönlichem und autobiografischen Roman „Mameleben“ verarbeitet er die enge und teilweise toxische Beziehung zu seiner Mutter.
Anders und sehr besonders finde ich vor allem den leichten und pragmatischen Erzählton von Bergmann, der in dem von ihm selbst eingesprochenem Hörbuch besonders gut zur Geltung kommt.
Seine Offenheit und die Ambivalenz der Gefühle gegenüber seiner Mutter berühren mich sehr.
Bergmann schildert seine Mutter als wunderschöne, charismatische Frau, der die Shoa ein ganzes Leben und unendliche Möglichkeiten geraubt hat. Er beschreibt, mit unendlicher Kraft und Unkonventionalität diese Frau es geschafft hat, sich aus den Trümmern etwas aufzubauen. Für ihren Sohn.
Bergmann lässt keinen Zweifel daran, dass das brutale Ende des eigentlich für seine Mutter vorgesehenen Lebens durch die Naziherrschaft, und die damit verbundenen unendlichen Härten, Grundstein für den späteren Narzissmus seiner Mutter gelegt haben.
Die erlittenen Verluste und Entbehrungen haben nicht nur bei seiner Mutter tiefe unsichtbare Wunden hinterlassen, sondern bei ganzen Generationen.
Trauer über ein gestohlenes Leben wird zur Bitterkeit
Je älter seine Mutter wird, desto starrsinniger und festgefahrener wird Bergmanns Mutter in ihren Ansichten.
Das Leben aufschieben, sich nichts gönnen, nie Glück gehabt. Dass sind die Dogmen, die ihre Leben bestimmen.
„Wer hat an mich gedacht?“
Bergmanns Mutter selbst trauert den verlorenen Möglichkeiten ihres Lebens unendlich nach, gönnt dem Sohn aber nicht das leiseste Vergnügen und den Lebensgenuss.
Der Autor berührt mich am Ende mit seinen ehrlichen Reflektionen über seine Mutter und seine eigenen Versäumnisse und schließt mit einem bewegenden Brief, den sie jedoch nicht mehr lesen wird. Eine weitere Mahnung, die wichtigen Dinge in unserem Leben nicht aufzuschieben.
Ein wahnsinnig berührendes Hörbuch, mit dem Bergmann nicht nur die Erinnerung an seine „Mame“ weitergibt, sondern auch den in unendlicher Zahl verlorenen Leben ein Denkmal setzt. Ein wertvoller Beitrag gegen das Vergessen!
Erschienen 2023 beim Diogenes Verlag
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