Letztes Jahr war „Kerbholz“ (Culturbooks) eine echte Entdeckung für mich, denn der krimiähnliche Roman des neuseeländischen Schriftstellers Carl Nixon war ein tiefgründiger und spannender Pageturner.
Als ich dann „Settlers Creek“ in der Vorschau des Unionsverlag entdeckte, wollte ich natürlich auch diesen Roman lesen.
Ich vermute, der Erfolg von „Kerbholz“ veranlasste den Verlag den Roman als Taschenbuch neu aufzulegen, denn im Original erschien „Settlers Creek“ bereits 2010 und auf Deutsch erstmalig 2013 beim @Weidleverlag.
Dabei ist das Erscheinungsjahr weitgehend egal, denn die Geschichte, die Nixon erzählt ist klassisch und (leider) zeitlos.
Box Saxton, Mitte 40, ist ein Bär von einem Mann und ein neuseeländischer Cowboy, wie er im Buche steht: er hat das Herz am rechten Fleck und seit er durch den Immobilienmarkt sein eigenes Unternehmen verloren hat, verdient er den Lebensunterhalt selbst auf dem Bau. Er versteht sich als Provider für seine Familie.
Als er die Nachricht bekommt, dass sich sein neunzehnjähriger Sohn an einem Baum erhängt hat, bricht für ihn eine Welt zusammen. Obwohl Mark nicht sein leiblicher Sohn ist, zieht er das Kind seiner Frau, das aus einer losen Beziehung mit einem Māori stammt, seit frühester Kindheit groß.
Carl Nixon nimmt sich viel Zeit, den Schmerz von Box zu beschreiben, die tiefe Trauer und vor allem seine Frage nach dem Warum, die keiner beantworten kann.
Box steht völlig neben sich und muss sich mit der Frage auseinandersetzen, wo sein Sohn beigesetzt werden soll.
Er und seine Frau entscheiden sich für den Friedhof, auf dem bereits der jung verstorbene Bruder von Box beerdigt ist. Er liegt in der Bucht, wo seine Familie noch Land besitzt.
Wer hat das ältere Recht?
Allerdings kommt noch vor der Beerdigung zu einem Konflikt mit Marks leiblichen Vater Tipene, der mit seiner Community angereist ist. Er möchte Mark, den er Maaka nennt, nach Māori-Tradition auf dem Land seiner Ahnen bestatten.
Box ist über die Dreistigkeit des Mannes, der sich nach Marks Geburt einfach aus dem Staub gemacht hat und sich jahrelang nicht um seinen Sohn geschert hat, entsetzt. Brüsk und ohne Diskussion lehnt er dessen Bitte ab.
Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen und es entbrennt ein bitterer Kampf der Männer um die Leiche des Jungen.
Auch dieser Roman von Nixon ist mit hoher Erzählkunst äußerst spannend geschrieben. Im Kampf um das Anrecht auf Marks Körper sind unschwer die lange schwellenden Konflikte zwischen der Nachfahren der indigenen Neuseeländer*innen und der dominierenden westlichen Kultur zu erkennen. Nixon wirft komplexe moralische Fragen auf, die nicht nur kulturelle Identität und kulturelles Erbe betreffen, sondern auch auf individueller Ebene die Definition von Familie und Herkunft.
Im Kern erzählt Nixon die immer gleiche Geschichte von Männlichkeit und Gewalt, die ihr eigenes Recht definiert und schaffen will, und das um jeden Preis.
Und so tritt die unangenehme Frage, ob warum Mark, ein Halb-Māori, sterben wollte, völlig in den Hintergrund, sie wird ausgelöscht durch sinnlose Kämpfe und ein kompromissloses Rechtsverständnis, das eigentlich nichts anderes als ein Besitzanspruch ist.
Nixons Erzähltalent fesselte mich wieder an die Seiten, auch wenn der Roman für mich nicht die Intensität und den Schauer von „Kerbholz“ erreichte.
Aber wenn du einen spannenden Pageturner aus dem neuseeländischen Down Under suchst, der die großen gesellschaftlichen Bruchlinien verhandelt, ist „Settlers Creek“ definitiv ein Lesetipp!
Vielen lieben Dank an den Unionsverlag für das gewünschte Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Carl Nixon für diese Neuauflage!
Aus dem Englischen von Stefan Weidle
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