Ein Roman, so bildgewaltig wie sein Cover: fantastisch, zauberhaft und unrealistisch mit einer guten Portion Übertreibung. Was braucht es mehr für eine Alltagsflucht aus dem grauen, nebligen Herbst?
Emilia Hart macht es ihren Leser*innen in ihrem zweiten Roman leicht, komplett in die auf mehreren Zeitebenen angelegte Geschichte einzutauchen. Da zittern Hände und Schenkel, da füllen sich Augen mit Tränen und einmal fällt die junge Hauptfigur Lucy sogar in Ohnmacht, um die Überwältigung der soeben erfahrenen Enthüllungen zu verdeutlichen.
Ich muss entspannend wenig interpretieren, was gerade in den Köpfen ihrer Figuren vor sich geht, wechselnde Perspektiven sorgen für den entsprechenden Rundumblick.
Im Gegensatz zu ihrem ersten Roman spielt der zweite Roman der britisch-australischen Autorin komplett in Australien, genauer gesagt, an dessen rauer Küste.
Dort befindet sich ein kleiner Küstenort, inklusive einer felsigen Höhle am Meer, die über die Jahrzehnte Schauplatz verschiedener mysteriöser Ereignisse wird und im Zentrum der mystisch angehauchten Handlungsstränge steht.
Naja, eigentlich ist es mehr als nur ein Hauch Mystik, es gibt handfeste Metamorphosen, die nicht mehr nur mit einer Metaebenen erklärbar wären.
Großartig ist die Verschachtelung der verschiedenen Zeitebenen und die Parallelität der beiden Geschwisterpaare Lucy und Jess in unserer Jetzt-Zeit und Mary und Eliza in der Vergangenheit.
Letztere werden als Strafgefangene aus Irland in die australischen Kolonien gebracht und erleben währenddessen die Gräuel der Überfahrt, aber auch die schwesterliche Gemeinschaft unter den anderen Frauen.
Lucy wiederum sucht in der Jetzt-Zeit nach ihrer Schwester Jess, die aus ihrem kleinen Haus an besagter Küste verschwunden scheint. Ihre Detektivsuche lässt sie immer im erzähltechnisch passenden Moment auf Tagebucheinträge oder Zeitungsausschnitte treffen, damit die Enthüllung gewisser Familiengeheimnisse maximal spannend bleibt.
Spannende Familiengeheimnisse? Naja…
Hier muss ich als Kate Morton geschulte Leserin allerdings sagen, dass mir die Zusammenhänge eigentlich schon mit der Exposition klar und deutlich vor Augen stehen und ich keinesfalls überrascht bin.
Überrascht bin ich allerdings von der Tatsache, dass Hart trotz der schrecklichen Schicksale, gerade der historischen Figuren, ihren Leser*innen niemals den schlimmstmöglichen Ausgang zumutet (der, wie wir doch alle wissen, einfach der realistischere wäre).
Nicht dass durch diese Punkte ein falscher Eindruck entsteht: ich hatte mit „Unbeugsam wie die See“ eine richtig gute und unterhaltsame Zeit, ich möchte nur den Realitäts- und Zynismusgehalt der Geschichte etwas einordnen. Aber ich brauche definitiv nicht in jedem Roman Realität und Zynismus, um mich zu amüsieren. Sehr positiv möchte ich hervorheben, dass Hart den Fokus stark auf Sisterhood und Empowerment unter Frauen richtet. Ich finde es wirklich gut, dass Hart auf Love Interests und somit auch auf toxische Narrative vom männlichen Savior verzichtet. Die (wahren) historischen Bezüge hat Hart sehr bereichernd in ihre Geschichte verwoben. Die mystischen Elemente setzt sie dezent und fein dosiert ein, so dass ich sie gut tolerieren konnte.
Und ja, ich würde diesen Roman in meiner ganz eigenen Definition durchaus als „cosy“ bezeichnen, im besten Sinne des Wortes. Das Hörbuch (toll gesprochen von Leonie Landa, Julia Nachtmann und Jodie Ahlborn) hat mich ganz vorzüglich bei nebligen Herbstspaziergängen begleitet und an die gischtsprühende Küste Australiens versetzt.
Vielen lieben Dank an Harper Collins für das Rezensionsexemplar mit dem wunderschönen Buchcover. Danke und viel Erfolg an Emilia Hart für ihren neuen Roman!
Aus dem Englischen von Julia Walther
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