Rezension
Gerade eben habe ich den Schluss von „Zitronen“ gelesen.
Alta, WTF?
Dabei habe ich damit gar nicht mit einer Epiphanie dieser Art gerechnet, denn mein erster Kontakt mit der Literatur von Fritsch war wenig freudvoll. Der Roman der österreichischen Schriftstellerin „Winters Garten“ verweigerte mir den Zugang und war schwierig für mich. Dennoch spürte ich den Zauber, den die Erzählstimme Fritschs zu weben vermag. Auch wenn ich den Sinn des Romans nicht fassen konnte, packte mich die Atmosphäre des Textes.
Genau deswegen wollte ich es nochmal mit Fritsch versuchen und „Zitronen“ öffnete sich mir in seinem vollkommenen, melancholischem Glanz.
Das Grundthema des Romans liegt deutlich vor mir und verästelt sich in jedem Satz in tausendfache Unterthemen.
Fritsch erzählt die Geschichte von August Drach, beginnend bei seiner frühen Kindheit bis in sein Erwachsenalter. Das Dorf, in dem er aufwächst, mutet mystisch und allegorisch an, wie so vieles in Fritschs Roman. Irgendwie verzaubert und entrückt, aber ziemlich das Gegenteil von einer heilen Welt. Genauso wie die Familie von August. Sein Vater schlägt ihn, die Mutter schaut zu. Als der Vater eines Tages einfach verschwindet, wendet sich sein Leben vordergründig zum Besseren, und als August immer öfter schwer krank wird, kümmert sich seine Mutter aufopferungsvoll um ihn.
August weiß nicht, dass es die Mutter ist, die ihn krank macht.
Diese Jahre sind geprägt von der Kontrolle seiner Mutter und dem Gefühl, schwach zu sein. Ihm wird als junger Mann die Ablösung gelingen, aber er ist gezeichnet.
„Obwohl sein Körper von außen so heil aussah, dass man an nichts Böses dachte, war er ein Speicher der unsichtbaren Beschädigungen,“
Dieses Thema ist für mich nicht nur das Herzthema von „Zitronen”, sondern auch von mir selbst. Und von dir?
Tragen wir nicht alle unsichtbare Verletzungen aus unserer Vergangenheit und Kindhaft in uns und arbeiten uns daran ab?
Ich folge August weiter durch sein Leben, hoffe für ihn, dass er heilen kann. Aber er kennt die Ursache seiner Verlorenheit nicht, Den Grund für seine Suche nach Liebe und Zugehörigkeit.
Als er sich in Ava verliebt, fühlt er sich zum ersten Mal angenommen und geborgen.
„Die Liebe wurde ihm ein Ort, eine Adresse auf der Welt, ein Zuhause, gebaut aus den kleinen Gedanken der Zusammengehörigkeit, in dem er sich erstmals im Leben geborgen fühlte.“
Aber du weißt vielleicht, dass die Liebe solche tiefen Verletzungen auf Dauer nicht heilen kann…
Fritsch bleibt auch in „Zitronen“ ihrer märchenhaften, reduzierten Erzählweise treu. Alles ist Essenz, nichts ist überflüssig, jeder Satz ist voller Inhalt und ohne Floskeln.
Reine literarische Magie.
Ein wahnsinnig starkes und intensives Lese-Highlight! Ich empfange heftige Buchpreis Schwingungen!
Ich bedanke mich sehr beim Suhrkamp Verlag für das Rezensionsexemplar und bei Valerie Fritsch für ihren Roman.
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