Vielleicht ist es die Übermüdung aus dem anstrengenden Familienurlaub, vielleicht bin ich überreizt wegen der langen Autofahrt aus dem Norden nach Hause. Aber als ich Flatlands Roman „Zuunterst immer Wolle“ soeben beendete, musste ich weinen, weil er mich so sehr bewegt und traurig gemacht hat.
Dabei lese ich wirklich viele Romane, die Mutter-Tochter Beziehungen thematisieren, auch wenn das Thema für mich bisweilen schwierig und belastet ist.
In dem 2022 auf deutsch erschienenen Roman dringt Flatland ganz tief in eine dieser komplexen Beziehungen ein und betrachtet sie ehrlich und menschlich.
Anne hat sich viele Jahre um ihren immer kränker und dementer werdenden Mann kümmern müssen und ihre beiden Kinder Sigrid und Magnus darüber vernachlässigt. Als erwachsene Frau leidet Sigrid, die mittlerweile selbst Mutter einer jungen erwachsenen Tochter ist, immer noch unter den Verletzungen ihrer Kindheit. Sie würde sich eine Aussprache oder gar Entschuldigung von ihrer Mutter wünschen, scheitert aber an deren mangelndem Verständnis. Anne fühlt sich nach den langen Jahren der Pflege und dem Zurückstellen ihrer eigenen Bedürfnisse erschöpft und wünscht sich von ihrer Tochter ebenfalls Verständnis und die Anerkennung ihrer Leistungen.
Die tiefe, tiefe Sehnsucht auf beiden Seiten nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und letztendlich Liebe zieht sich als Hauptthema durch Flatlands Roman. Sie schreibt jeweils aus wechselnder Perspektive von Mutter und Tochter. Ihre Frauenfiguren sind in meinen Augen authentisch und lebensecht, sie handeln teilweise kleinlich und egoistisch in ihrem Hunger nach Beachtung, aber immer menschlich nachvollziehbar.
Sie scheitern an ihren eigenen Ansprüchen und inneren moralischen Handlungsvorgaben. Ihr inneres vernachlässigtes Kind, das immer zu kurz gekommen ist, steht ihnen oft im Weg.
Das Kind in dir muss Heimat finden?
Als Anne an Krebs erkrankt, wird Mutter und Tochter bewusst, dass ihre gemeinsame Zeit bald enden wird und die Möglichkeit für eine Aussprache bald für immer schwinden wird…
Bis in die Nebenfiguren greift Flatland ihr Thema auf und facettiert es. Für mich ist Flatland eine wahnsinnig tolle Erzählerin, deren Stärke vor allem in der genauen und treffsicheren Beobachtung von menschlichen Schwächen und Stärken liegt. Bereits mit „Die Resonanzen“ hat sie mich absolut begeistern können, und auch wenn „Zuunterst immer Wolle“ handlungstechnisch wesentlich unspektakulärer ist und auch thematisch in eine andere Richtung geht, ist auch dieser Roman emotional ein echtes Highlight für mich. Flatland beweist mir auch hier, dass sie keine Angst hat, mit radikaler Ehrlichkeit in Gefühlswelten zu blicken und die dunklen Seiten zu benennen, die uns vielleicht manchmal unsympathisch, aber eben auch menschlich machen.
Wenn du dich in Romanen gerne mit einer komplexen Mutter-Tochter Thematik beschäftigst, ist „Zuunterst immer Wolle“ auf jeden Fall eine absolute Empfehlung für dich!
Erschienen 2022 beim Indieverlag Weidle, der mittlerweile ein Imprint des Wallstein Verlags ist.
Aus dem Norwegischen übersetzt von Elke Ranzinger
Wunderbare und aussagekräftige Rezensionen findest du hier bei Petra im Literatur Reich, hier im Mona Lisa Blog und hier bei zeichenundzeiten.
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