„Eliza Clark ist eine der besten jungen britischen Schriftstellerinnen“ findet der Festa Verlag. Ich denke das jetzt auch, obwohl ich natürlich nicht so viel Ahnung habe.
Aber „Boy Parts“, das jetzt endlich auf Deutsch erschienen ist, hat mich schon sehr, sehr fasziniert und mir gut gefallen. Ob ich auch finde, dass der Roman ein „feministisches American Psycho“ ist, ist komplizierter. Eigentlich möchte ich die beiden Romane, die unbestreitbar einige Gemeinsamkeiten haben, gar nicht miteinander vergleichen.
Eliza Clark hat ein eigenständiges Werk geschaffen – mit einer Protagonistin, die eine Figur unserer heutigen Zeit ist.
Genauer gesagt: eine Frau unserer heutigen Zeit.
Irina, die Clark durchgängig aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, ist komplett abgefuckt (habe ich schon erwähnt, wie sehr ich abgefuckte Figuren liebe?). Ihre Karriere als Foto-Künstlerin läuft schleppend, sie betäubt sich mit Drogen, Alkohol und Partyies. Ansonsten verfolgt sie ihre große Leidenschaft: Sie ist immer auf der Suche nach interessanten Männer für ihre künstlerischen und expliziten Fetisch-Fotografien.
Dabei hat Eliza Clark mit ihrer Protagonistin eine absolut eiskalte Bitch erschaffen: empathielos, egoistisch, manipulierend und berechnend. Clark ist natürlich nicht die erste Autorin, die stereotype weiblichen Charakterzuschreibungen brutal kontrastiert und ihre Figur so agieren lässt, wie wir es eigentlich eher von männlichen Psychopathen erwarten würden.
Aber sie tut es auf auf eine derart selbstverständliche und hedonistische Art, dass es mir eine wahre Freude ist.
“Mir gelingt eine großartige Aufnahme von seinem Arsch mit der kleinen Bommel – der Hintern prall und rund, das Schwänzchen süß und flauschig. Wie ein Pfirsich: zum Reinbeißen.”
Männer sind für Irina leicht manipulierbar und reine Objekte. Sie benutzt sie gnadenlos für ihre Zwecke. Mehr noch: während ihrer Fotosessions kommt es regelmäßig zu sexuellen Übergriffen und entwürdigender Gewalt, die Clark explizit schildert.
“Ich kam mir wie eine Schwarze Witwe vor, der plötzlich bewusst wurde, dass alle männlichen Spinnen winzig und schwach, weich und verletzlich waren, ganz im Gegensatz zu ihrem glänzenden Panzer und den riesigen Mundwerkzeugen.”
Dabei haben ihre Exzesse kaum wirkliche Konsequenzen für Irina. Viele Männer wollen oder können es nicht wahrhaben, dass sie von einer jungen Frau sexuell missbraucht und/oder verletzt wurden.
deftig und abgefahren
„Boy Parts“ ist aber mehr als eine Beschreibung von dekadentem und verkommenem sadistischen Ennui oder eine selbstbefriedigende female Rage Geschichte, sondern weitaus vielschichtiger. Auch wenn Clark Irina als empathielose Soziophatin anlegt, deutet sie in einem Subkontext an, dass Irina auch ein Opfer geworden sein könnte. Das macht sie sehr subtil und überlässt es deiner Lesart, inwieweit du mit dieser Idee mitgehst.
Ich finde schon, dass „Boy Parts“ eine interessante Verkehrung und Überspitzung von stereotypen Geschlechterrollen zeigt und somit in Frage stellt.
Ich habe so viel Spaß an Clarks deutlicher und durchaus derbe zu nennender Sprache und den drastischen Szenen, dass ich mich beim Lesen fast schmutzig fühle.
Naja, aber nur fast. Eigentlich fühle ich mich entlastet, denn angesichts von Irinas Umgang mit ihren Mitmenschen, bin ich richtig…nett. So fühlen sich wahrscheinlich auch die Zuschauer*innen von „Frauentausch“ auf RTL 2.
Clarks Gesellschaftskritik ist nicht nur explizit feministisch, sondern richtet sich auch gegen Klassendenken und die Scheinheiligkeit in der Kunst-und Kulturbranche.
Ich fand „Boy Parts“ richtig großartig und meine hohen Erwartungen an den Roman wurden erfüllt (anders als bei dem gehypten „Bunny“ von Mona Awad). Allerdings hatte ich auf Grund der American Psycho Referenz mehr Splatter und übertriebene Gewalt erwartet – die dann doch einigermaßen gemäßigt ausfiel, aber das ist natürlich alles relativ.
Von mir gibt es für „Boy Parts“ eine große Leseempfehlung, wenn du nach deftiger und feministischer Female Rage-Literatur suchst. Aber auch für alle anderen Leser*innen lohnt sich vielleicht ein Blick auf dieses außergewöhnliche und abgefahrene Debüt.
Jetzt hoffe ich auf eine baldige Übersetzung von Clarks zweiten Roman „Penance“, der wohl auch wieder beim Festa Verlag erscheinen wird.
Aus dem Englischen von der Künstlerin und Übersetzerin Elena Helfrecht.
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