Das Seil von Anna Herzig

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Das Seil Anna Herzig Rezension

Eine solche schimmernde und kostbare Perle war in meinen Augen „Das Seil“ der österreichisch-kanadischen Schriftstellerin Anna Herzig.

In „Das Seil“ macht Herzig gleich mit der Widmung klar, für wen sie dieses Buch geschrieben hat und was ihr Thema sein wird. 

„Für alle, die eine schwere Kindheit überlebt haben.“ steht da und macht mir bereits vor dem Lesen ein mulmiges Gefühl.

Und so ist dann auch Herzigs Protagonistin Franziska in „Das Seil“ natürlich ein Kind, das keine einfache Kindheit gehabt hatte, sondern:

„Eine Kindheit, die ewig und immer nach kaltem Rauch und schalem Bier riecht.“

Franziska wächst bei ihrer Tante auf, nachdem ihre Mutter sie beim Großvater zurückgelassen hatte. Aber die Tante hat schon ein Kind, Martin, mit dem sie überfordert ist. Denn Martin ist anders als andere Kinder und entwickelt sich anders als andere Kinder. Die Tante fühlt sich gestraft mit ihrem eigenen Kind und soll jetzt also noch ein weiteres Balg mit durchfüttern.

Die kleine Franziska kann diesem Frust, der sich in Lieblosigkeit, Demütigungen und Gewalt äußert, nicht entfliehen.

Welche Rolle der Großvater in der Familie spielt, enthüllt Herzig erst langsam im Laufe des Romans.

Die Vergangenheit kommt zurück…

Heute ist Franziska erwachsen und hat unerwartet mit ihrem Text „Das Seil“ einen renommierten Literaturpreis gewonnen. Es gibt nur ein kleines Problem.

Der Text stammt gar nicht von ihr, sondern von ihrem mittlerweile verstorbenen Großvater.

„Aber das Problem mit Texten, die man nicht selbst geschrieben hat, ist, dass sich der Besitzer melden wird. Egal, ob direkt an der Tür, manchmal mit dem Anwalt. Oder wie in Franziskas Fall, sich unter größten Anstrengungen mit sich windenden kleinen Maden unter den Fingernägeln aus dem Schlamm herauswühlend, um seinen Preis abzuholen.“

Ja, Herzig lässt ihre Geschichte ins Surreale abdriften, lässt Monstrositäten erscheinen, die mit den realen Monstrositäten, die in den Menschen stecken, konkurrieren, sie karikieren und sie spiegeln.

Ich finde Herzigs Schreibweise in „Das Seil“ noch konzentrierter, noch intensiver als in „12 Grad unter Null“. Ihr Text ist hochassosiziativ und es liegt somit vielleicht auch an deinen eigenen Erfahrungen, wohin dich die losen Enden führen werden.

Mich selbst führen meine Gedankenketten direkt ins Herz der Finsternis und ich spüre beim Lesen einige Beklemmungen. Die werden noch verstärkt durch den teilweise repetitiven und plastischen Schreibstil Herzigs.

Auch wenn der Roman nicht umfangreich (115 Seiten) ist und in einer Lesessession gelesen werden kann (muss?), ist er gehaltvoll. 

Das von Herzig bearbeitete Thema, nämlich die Zerstörung von Kinderseelen durch Lieblosigkeit und Gewalt ist ein Schmerzhaftes. Und genauso schmerzhaft und gewaltvoll kann dann die Befreiung aus diesen Zuständen erfolgen. 

Wenn du intensive und besondere Literatur schätzt und auch immer auf der Suche nach diesen glänzenden Perlen bist, solltest du Anna Herzigs neuen Roman lesen, lesen, lesen!

  • Anna Herzig
  • Das Seil Anna Herzig Klappentext

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