Das Cover und die Kurzbeschreibung des Romans „Die Nichtswürdigen“ erinnerten mich auf den ersten Blick schon sehr an Atwood’s “Der Report der Magd” und es gibt in der Tat einige Parallelen, die allerdings nur oberflächlich sind. Tatsächlich erinnert mich der Roman während des Lesen mehr an eine pervertierte Form von Groffs mittelalterlichen Klosterroman “Matrix”.
Bazterricas dystopischer Roman ist in Form eines schriftlichen Berichts gehalten, der die Ereignisse aus der Ich-Perspektive schildert. Durchstreichungen und abgebrochene Sätze vermitteln ein Gefühl von Authentizität.
Die Schreiberin lebt in einer klosterähnlichen Gemeinschaft in einer postapokalyptischen Welt. Umweltkatastrophen, weitflächige Überflutungen und Kriege haben das Zusammenleben, wie wir es kennen beendet und die Welt in ein menschenreduziertes und technikfreies Zeitalter katapultiert. Die Natur ist vergiftet und macht Nahrungsmittel zum begehrten Gut.
Eine Gruppe von Frauen hat sich hinter ehemaligen Klostermauern zurückgezogen und versorgt sich autark unter dem strengen Regiment einer Oberin.
Alles in Frauenhand?
Die Regeln und Hierarchien sind stark reglementiert und werden von der Oberin mit willkürlicher Brutalität durchgesetzt. Auch bei den untergeordneten Nichtswürdigen herrscht das Recht der Stärkeren und jede Schwäche wird gnadenlos ausgenutzt. Die Gemeinschaft muss in rätselhaften Riten einem religionsähnlichem Glaubenskult huldigen.
Die Schreiberin kam einst von außerhalb in die Gemeinschaft und unterwarf sich den Regeln um zu überleben.
“Ohne Glauben kein Schutz”
Sie erzählt in ihren Aufzeichnungen von ihrer Vergangenheit außerhalb des Klosters in einer verbrannten Welt. Dort hat sie aber auch Liebe und Freundschaft erfahren, Gefühle für die sie im Kloster grauenhaft bezahlen musste.
Irgendwann kommt allerdings eine neue junge Frau von Außerhalb in die Gemeinschaft, die diese emotionale Erstarrung ins Wanken bringen wird. Doch die Schreiberin weiß, dass sie nicht nur sich in tödliche Gefahr begibt, wenn sie Gefühle wie Zärtlichkeit und Mitgefühl wieder in ihr Leben lässt…
Bazterrica hält ihren Schreibstil knapp und prägnant, was die gehetzte Art des Berichtes unterstreicht. Sie lässt ihre Schreiberin unzensiert von ihren Empfindungen und Erlebnissen sprechen und ich erlebe ihre innere Veränderung mit.
Es gibt einiges an Gewalt und Brutalität, es gibt Missgunst und mysteriöse Tote, es gibt aber auch (queere) Liebe, Solidarität und Hoffnung. Das ist alles komprimiertes großes Kino auf wenigen Seiten und der aufreibende Schluss ist in meinen Augen der perfekte Ausgang für dieses wunderbare dystopische Erzählung über unsere Menschlichkeit.
Dringende Leseempfehlung!
Ein großes Dankeschön an den Suhrkamp Verlag für das wunderbare Rezensionsexemplar. Danke und viel Erfolg an Agustina Bazterrica für ihren Roman!
Aus dem Spanischen von Matthias Strobel
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