„Mit den Jahren“ hat meine Lebens- und Gefühlswelt so gut getroffen wie selten ein Roman. Nicht dass ich mich mit einer speziellen Figur absolut hätte identifizieren können, sondern es es ist vielmehr dieser Punkt im Leben, an dem sich viele Türen bereits geschlossen haben und wichtige Entscheidungen getroffen wurden, aber immer noch Raum bleibt, die Weichen noch mal komplett um zu stellen.
Genau an diesem Punkt befinden sich Steenfatts Figuren Eva, Lukas und Jette. Sie sind Anfang 40, aber haben alle einen anderen Background und andere Entscheidungen getroffen. Jette hat schon früh gemerkt, dass sie lesbisch ist und sich gegen den klassischen Weg mit fester Partnerin und Kinder entschieden. Eva ist Lehrerin und ist mit Lukas, dem freischaffenden Künstler verheiratet und beide haben zwei wirklich bezaubernde Kinder und ein schönes Zuhause.
Und während der eingeschlagene Lebensweg sich für alle noch vor ein paar Jahren sehr überzeugend angefühlt hat, kamen „Mit den Jahren“ immer mehr Abnutzungserscheinungen, Langeweile und Zweifel auf.
Vor allem Eva fühlt sich als Mutter zwischen mental load, ihrem Lehrerberuf und Lukas zunehmender Gleichgültigkeit aufgerieben.
Jette hingegen spürt zunehmend ihre Einsamkeit und ihre empfundene Bedeutungslosigkeit, die sie früher immer als Freiheit empfunden hat.
Sehr interessant finde ich Lukas Perspektive, denn einen einfühlsamen aber dennoch ehrlichen Blick auf männliche Sinnkrisen lese ich in feministischen Bücher selten.
Zwischen diesen drei verschiedenen Menschen spannt Steenfatt ein faszinierendes erzähltechnisches Dreieck. Alle drei beneiden sich um Elemente und Aspekte aus dem Leben der anderen.
Haben sich andere die besseren Entscheidungen getroffen?
Als sie aufeinandertreffen, katalysiert sich die Unzufriedenheit und manifestiert sich in kleinen und größeren Veränderungen. Steenfatt beschreibt treffend diesen typischen Zustand zwischen der Sehnsucht nach Neuem und Veränderung und dem Zögern und dem Verharren im Gewohnten.
Ich bin gerade von der Hörbuchversion ziemlich begeistert, denn die drei verschiedenen Sprecher*innen machen die drei unterschiedlichen Erzählstimmen wunderbar lebendig. Der unterhaltsame und feministische, aber nie bittere Stil Steenfatts gefällt mir sehr und lässt mich großzügig über gewisse unwahrscheinliche Zufälle, die die Geschichte dramatisieren, hinwegsehen.
Das war ein richtig tolles Hörbuch, dass ich auf Grund der unspektakulären Kurzbeschreibung unterschätzt hatte!
Abwechslungsreich, authentisch gelesen und wunderbar umgesetzt von Luise Georgi, Kaja Sesterhenn und Philipp Oehme
Das Hörbuch erschien bei Harper Collins Audio und das Hardcover im zugehörigen Nagel & Kimche. Viel Erfolg an Janna Steenfatt für den Roman!
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