Ich wusste natürlich, dass der Roman „Siebenmeilenherz“ keine Wohlfühllektüre wird. Auf dem Klappentext steht, dass um den sexuellen Missbrauch eines Kindes geht.
Aber dass Winklers Text mich derart aufwühlen würden, dachte ich nicht.
Katharina Winkler lässt mich in ihrem zweiten Roman direkt an den Gedanken eines kleinen Mädchens teilhaben, das von seinem Vater jahrelang sexuell mißbraucht wird.
Und diese Gedankenwelt ist die unerbittliche Dokumentation der Zerstörung und der Auslöschung einer Kinderseele.
„Ich schlafe tief, ich schlafe tot.
Ich bin nicht, ich bin nicht. Ich bin nicht.“
Es ist die vollständige Inbesitznahme und Vereinnahmung des Mädchens durch den Vater. Es sind ihre Versuche der Dissoziation, die nur in den schlimmsten Augenblicken gelingen mag.
Winkler schreibt verdichtet und beklemmend. Mein Herzschlag beschleunigt sich beim Lesen, nein, beim Durchleben dieser verzweifelten Seelennot und dieses Selbsthasses.
Das Mädchen wird zur Frau, wird für den Vater uninteressant. Sie zieht von zu Hause aus, versucht ihr eigenes Leben zu leben, versucht genauso wie die anderen jungen Menschen zu sein.
Schäden aus der Kindheit
Innerlich traumatisierte Leere, äußerlich gezeichnet von Selbstverletzung.
Haltlos und identitätslos.
Und doch reift in ihr eine Ahnung, dass ihr vom Vater Unrecht getan wurde, dass sie vielleicht kein böser Mensch ist. Was wusste die Mutter?
Sie braucht die Bestätigung und das Eingeständnis des Vater.
In kraftvoller und intensiver Sprache lässt Winkler jede Distanz zwischen mir und der Erzählerin verschwinden. Das Lesen fühlt sich furchtbar und wahrhaftig an und erinnert mich an die Verschmelzung von Lesen und Erleben in „Null“ von Gina Cornelia Pedersen.
Mit ihren märchenhaften Assoziationsketten trifft Winkler bei mir genau ins Herz. Ihre wunderschönen poetischen Zeilen verbildern den inneren Zustand ihrer Erzählerin in perverser ästhetischer Perfektion.
Fast wünschte ich, ich hätte den Roman nicht gelesen, denn das Wissen, dass viele Kinder Missbrauch erleben, der niemals aufgedeckt wird, wo die Täter niemals benannt werden, wo der Schaden nur im Inneren wirkt, ist schrecklich!
Und gleichzeitig bin ich froh, dass Winkler dieses Thema in derart emotionaler und literarischer Form bearbeitet hat, und daraus diesen grauenhaft unerbittlichen Roman gemacht hat.
Ein Roman gegen das Schweigen.
„Wortaufgang ist Sonnenaufgang.“
Vielen lieben Dank, Matthes und Seitz Berlin, für dieses intensive Rezensionsexemplar! Und ein großes Dankeschön und viel Erfolg an Katharina winkler für den Roman!
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