Das Thema Elternschaft ist eines, das mich persönlich sehr beschäftigt und deswegen in meiner Romanauswahl sehr stark vertreten ist. Ich habe viele tolle und kluge Bücher zu verschieden Aspekten drüber gelesen. Manche sprachen mich auf intellektueller an, sehr viele auf feministischer Ebene.
„Im Prinzip ist alles okay“ spricht mich auf sehr emotionaler und persönlicher Ebene an.
Polats Ich-Erzählerin Miryam ist gerade ungeplant und doch gewünscht Mutter geworden und struggelt gewaltig, nichts ist okay. Die Mutterrolle überfordert sie und alte, nicht verarbeitete Kindheitstraumata drängen nach vorne.
In Rückblicken erfahre ich mehr über Miryams disfunktionale Herkunftsfamilie und ihre vergangenen Beziehungen.
Der Vater war in Miryams Kindheit gegenüber der Mutter sehr gewalttätig, bis sie sich irgendwann, viel zu spät, von ihm scheiden lässt. Und der Schaden ist längst angerichtet.
„Aber es ist wirklich komisch: Die Gewalt frisst sich so in einen rein, sobald sie im Raum ist. Je mehr man sie erlebt, desto mehr bestimmt sie einen. Sie steuert einen, man verzehrt sich nach ihr, auf eine ganz komische Art.“
Auch später übt der Vater noch lange finanzielle und emotionale Gewalt über seine erwachsene Tochter aus („Du bist eine undankbare Göre“). Diese Szenen sind ziemlich beklemmend und triggernd. Auch die Mutter ist durch die langen Jahre der Unterdrückung zerbrochen und kann ihrer Tochter keine Stütze sein.
Miryams erster langjähriger Freund ist viel älter und ebenfalls gewalttätig, er schlägt sie und sperrt sie ein. Sie braucht ihre ganze Kraft und mehrere Jahre um sich aus dieser Beziehung zu lösen.
Aber Miryam gibt nicht auf. Sie arbeitet an ihrer Emanzipation, sucht sich therapeutische Hilfe, kämpft.
Immer in der Hoffnung auf eine Versöhnung in der Familie, auf eine Aussprache, auf ein Verzeihen. Auf eine heile Familie.
Wird alles besser mit der eigenen Familie?
Bis sie jetzt schließlich selbst eine Familie, ein kleines Baby, hat. Aber es funktioniert nicht, ein kleines Kind kann Miryam nicht die Heilung und die Liebe geben, die sie sucht, sondern es braucht selbst eine Mama, das es beschützt.
Ich empfinde Polats Figuren und Geschichte in „Im Prinzip ist alles okay“ als echt und relatable. Das hat mit meinen eigenen Struggles als Elternteil zu tun und mit dem Erzählstil des Romans. In der einfachen, direkten und authentischen Sprache kommen die Aussagen des Textes ganz ohne Umwege bei mir an und gehen mir direkt unter die Haut
Die Geschichte selbst ist nicht rund, nicht gewollt konstruiert mit moralischer Pointe, kein feministischer Befreiungschlag und auch nicht perfekt auserzählt. Es ist die realistische und lebensnahe Erzählung von der schwierigen Loslösung aus toxischen familiären Beziehungen und die langsame Befreiung von destruktiven Denkmustern.
Polat, die schon länger als Autorin arbeitet, konnte mich mit ihrem ersten Roman „Im Prinzip ist alles okay“ komplett überzeugen und emotional abholen. Eine große Lesefreude und ein große Leseempfehlung!
Auch hier gibt es wieder eine wunderbare, passende Playlist auf Spotify (sorry, ich fahr auf dieses Playlisten Ding voll ab…)
Ganz lieben Dank an den Goya Verlag und an Yasmin Polat für das Rezensionsexemplar!
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