Woran ich lieber nicht denke von Jente Posthuma

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Woran ich lieber nicht denke Jente Posthuma Rezension

Zu dem Roman hatte ich wirklich nur gegriffen, weil der Kurztext vage interessant klang und die Leseprobe hatte mich sofort überzeugt hatte.

Dabei hat der zweite Roman der niederländischen Schriftstellerin wieder keine klare Handlungsstruktur. Sondern er erzählt viel mehr in kleinen Episoden, Gedanken und Schlaglichtern auf die Vergangenheit.

Auf diese Art gelingt es Posthuma über ein Thema zu schreiben, für das es oft schwierig ist, die passenden Wort und Ausdrucksformen zu finden.

Es geht um die Trauer und das Zurückbleiben nach einen Suizid eines engen Angehörigen. Es ist der Zwillingsbruder der Erzählerin, der sich umgebracht hat.

“Auch Virginia Woolf hatte einen Pelzmantel angezogen, wusste ich. Sie füllte die Taschen mit Steinen und ertränkte sich in einem Fluss. Wie mein Bruder, aber das wusste ich damals noch nicht.”

Die Ich-Erzählerin denkt in vielen kleinen Szenen an ihren Zwillingsbruder zurück, geht zurück in die gemeinsame Kindheit und versucht den Punkt zu finden, wo ihre enge Bindung die ersten Risse bekam.

Die Erzählerin forscht in den Tagebüchern des Bruders nach Antworten, reflektiert auch ihr eigenes Verhalten ihm gegenüber.

Sie fühlt sich schuldig. Schon länger vor seinem Tod versuchte der Bruder mit ihr über seine düsteren Gedanken zu sprechen. 

Zu spät für Worte

„Er sagte: Ich will nicht sterben, aber ich will auch nicht leben.“

„Mein Bruder sagte, er sei kaputt und nicht mehr zu reparieren.“

„Jetzt träume ich davon zu verschwinden.“

Aber die Beziehung der Geschwister ist angeschlagen. Die Erzählerin hat das Gefühl, ihren Bruder nicht mehr zu erreichen. 

Vieles kann nicht mehr ausgesprochen werden

„Ich mache mir Sorgen um dich, wollte ich sagen. Du fehlst mir.“

Posthuma hat mit ihrem Roman, der 2024 auf der Shortlist für den Booker Prize stand, eine sehr fein nuancierte und literarische Bearbeitung der Gedanken einer Übriggegblieben geschrieben. Ich habe diesen trotz des schweren Themas sehr leichten und zarten Roman sehr gerne gelesen.

Mir gefiel besonders gut, wie Posthuma die Gedanken der Erzählerin über ihre eigenen Geschichte und die ihres Bruders mit Berichten über andere Suizide verknüpft. Die Selbstmorde von Virginia Woolf und Mark Madoff kommen öfter zur Sprache und auch immer wieder die Tragödie von 09/11. Auch um ihre Geschwisterbindung besser zu verstehen, sucht die Erzählerin in anderen Quellen. Sie findet unermessliches Leid in vielen dieser Geschichten – und so stellt sich ihr und mir als Leserin die Frage: gibt es eine Hierarchie des Leids? Gibt es eine Art „Whataboutism des Schmerzes“?

Das ist nur eine Richtung, in die sich Gedanken der Erzählerin tastend bewegen. Posthuma zeigt eine breite Palette an komplexen, sich überlagernden (Schuld-) Gefühle der überlebenden Zwillingsschwester.

Ich fand in „Woran ich lieber nicht denke“ einen sehr lesenswerten und sensibel erzählten Roman, den ich dir gerne weiterempfehle – vorausgesetzt, du kannst oder möchtest dich mit diesem Thema auseinandersetzen.

  • Jente Posthuma
  • Woran ich lieber nicht denke Jente Posthuma Klappentext

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